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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Hölzern festzuhalten. Dreimal war sie nahe daran, ihm zu entgleiten und in die tiefe Flut zurückzufallen, die hinter ihnen grollte. Sie konnten einige Augenblicke ausruhen, als sie den ersten Gang erreichten; derselbe war noch frei vom Wasser. Es erschien aber bald, und sie mußten höher klettern. Der Aufstieg währte stundenlang; das steigende Wasser jagte sie von Gang zu Gang, nötigte sie immer höher hinaufzuklettern. In der sechsten Galerie trat wieder ein Stillstand ein, der sie mit neuer Hoffnung erfüllte; es schien ihnen, als bleibe die Wasserhöhe unverändert. Doch bald trat ein stärkeres Steigen ein; sie mußten in die siebente, dann in die achte Galerie emporklettern. Es blieb ihnen nur noch eine einzige und als sie dieselbe erreicht hatten, sahen sie mit Schrecken, wie das Wasser um jeden Zentimeter zunahm. Wenn es nicht stillstand, mußten sie da sterben wie das alte Roß, an die Decke gedrückt, die Kehle vom Wasser erfüllt.
    Jeden Augenblick erfolgten Einstürze, deren hallendes Geräusch sie hörten. Die ganze Mine war erschüttert; ihr Inneres war zu schwach und sank in Trümmer unter dem Druck des Meeres, das sie ersäufte. Am Ende der Galerien sammelte sich die zurückgedrängte Luft, verdichtete sich und entlud sich in furchtbaren Explosionen zwischen den geborstenen Felsen und eingestürzten Erdreichen. Es war das entsetzliche Getöse der inneren Zusammenbrüche, im Kleinen eine Wiederholung des Kampfes, der in vorgeschichtlicher Zeit sich abspielte, als die Meere das Festland überfluteten und ganze Gebirge unter Ebenen begruben.
    Erschüttert und betäubt von diesem ewigen Getöse faltete Katharina die Hände und stammelte unaufhörlich dieselben Worte:
    »Ich will nicht sterben... Ich will nicht sterben...«
    Um sie zu beruhigen, versicherte Etienne, daß das Wasser sich nicht mehr rühre. Ihre Flucht währte schon sechs Stunden; man werde ihnen sicherlich bald zu Hilfe kommen. Er sagte sechs Stunden, ohne es genau zu wissen, denn es entging ihnen die Kenntnis der Zeit. In Wirklichkeit hatte ihr Aufstieg in der Wilhelmader einen ganzen Tag gedauert.
    Durchnäßt und fröstelnd richteten sie sich ein. Sie entkleidete sich ohne Scham, um ihre Kleider auszuwinden; dann legte sie die Hose und den Kittel wieder an, um sie an ihrem Leibe trocknen zu lassen. Da sie barfüßig war, zwang er sie, seine Holzschuhe zu nehmen. Sie konnten jetzt geduldiger warten; sie hatten den Docht ihrer Lampe niedriger gestellt, daß sie nur das schwache Licht eines Nachtlämpchens gab. Doch beiden ward der Magen von Krämpfen gequält und jetzt erst wurden sie ihres großen Hungers gewahr; bis jetzt waren sie sich kaum ihres Lebens bewußt. Im Augenblick der Katastrophe hatten sie noch nicht gefrühstückt, und sie fanden jetzt ihre Brotschnitten von Wasser durchweicht, in eine Suppe verwandelt. Sie mußte böse werden, bis er einwilligte, seinen Teil davon zu nehmen. Als sie gegessen hatte, schlief sie vor Ermüdung sofort auf der kalten Erde ein. Er fand in seiner fieberhaften Erregung keinen Schlaf und wachte bei ihr, den Kopf auf die Hände gestützt, mit stieren Augen.
    Wieviele Stunden so verflossen: er hätte es nicht zu sagen vermocht. Was er wußte, war, daß vor ihm -- durch den Kamin aufsteigend -- die schwarze, bewegliche Flut wieder erschien, das Tier, dessen Rücken unaufhörlich anschwoll, um sie zu erreichen. Anfänglich war es nur eine dünne Linie, eine geschmeidige Schlange, die sich ausdehnte; dann breitete das Ding sich aus zu einem gärenden, kriechenden Rücken, und bald waren sie eingeholt, die Füße des schlafenden Mädchens waren schon vom Wasser durchnäßt. Von Angst ergriffen zögerte er sie zu wecken. Wäre es nicht grausam, sie in ihrer Ruhe zu stören, in ihrem tiefen Schlafe, der sie vielleicht in einen Traum von Sonne und frischer Luft wiegte? Wo hätten sie auch einen Ausweg gefunden? Er sann nach und erinnerte sich, daß die in diesem Teile der Wilhelmsader angelegte schiefe Ebene am äußersten Ende eine Verbindung habe mit der schiefen Ebene, die für den Dienst des oberen Aufzugsraumes angelegt war. Dies war ein Ausgang. Er ließ sie noch so lange schlafen, bis die Flut, deren Steigen er unablässig beobachtete, sie auch von da verjagte. Endlich hob er sie sanft auf und sie fuhr in einem heftigen Frösteln zusammen.
    »Ach, mein Gott, es ist wahr!... Es beginnt wieder...«
    Sie erinnerte sich und schrie auf, als sie sich wieder so nahe dem Tode sah.
    »Nein, beruhige

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