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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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suchen die Nachbarin? Sie ist nicht zu Hause; sie ist in Réquillart ...«
    In einem reichlichen Wortschwall erzählte sie ihnen die Geschichte, wiederholte ihnen, daß man sich gegenseitig unterstützen müsse, daß sie Leonore und Heinrich bei sich behalte, um der Mutter zu ermöglichen, in Réquillart das Ergebnis der Rettungsarbeiten abzuwarten. Ihre Blicke waren auf die Pakete gefallen, und sie begann von ihrer armen, verwitweten Tochter zu sprechen, ihr eigenes Elend zu schildern, wobei ihre Augen habgierig leuchteten. Dann murmelte sie mit zögernder Miene:
    »Ich habe den Schlüssel. Wenn die Herrschaften durchaus hineingehen wollen ... Der Großvater ist da.«
    Die Grégoire sahen sie erstaunt an. Wie? Der Großvater wäre da? Es hat doch niemand geantwortet! Schlief er denn? Als die Levaque sich entschlossen hatte, die Tür zu öffnen, hielt das, was sie sahen, sie verblüfft auf der Schwelle fest.
    Bonnemort war da allein mit weit offenen, starren Augen, vor dem kalten Kamin an seinen Stuhl gefesslt. Die Stube ringsumher schien jetzt größer, weil die Möbel von gefirnißtem weichem Holze, und die Kuckucksuhr, die den Wohnraum einst belebt hatten, nicht mehr da waren; und an den Wänden mit dem grünlichen, rohen Anwurf war nichts geblieben als die Bildnisse des Kaisers und der Kaiserin, deren rote Lippen mit offiziellem Wohlwollen lächelten. Der Alte rührte sich nicht und zuckte nicht einmal mit den Wimpern, als durch die offene Tür das helle Tageslicht hereinfiel; er verharrte auf seinem Platze mit seiner blöden Miene, als habe er alle die Leute nicht gesehen. Zu seinen Füßen stand eine mit Asche gefüllte Schüssel, ganz so wie man sie den Katzen hinstellt, damit sie ihren Unrat darin ablegen.
    »Achten Sie nicht darauf, wenn er nicht höflich ist«, bemerkte die Levaque in verbindlichem Tone. »Es scheint in seinem Oberstübchen nicht alles richtig zu sein. Seit vierzehn Tagen redet er nicht mehr.«
    Doch jetzt ward Bonnemort von einer Erschütterung ergriffen; es war ein tiefes Röcheln, das aus dem Leibe zu kommen schien; und er spie in die Schüssel einen dicken, schwarzen Speichel. Die Asche war davon durchtränkt; das gab einen Kohlenschmutz von all der Kohle, die er aus der Kehle heraufholte. Dann versank er wieder in seine Unbeweglichkeit; er rührte sich nur von Zeit zu Zeit, um zu speien.
    Verwirrt und angeekelt rangen die Grégoire dennoch nach einigen freundlichen und ermutigenden Worten.
    »Seid ihr verschnupft, mein Lieber?« sagte der Vater.
    Der Alte blickte starr auf die Mauer und wandte nicht den Kopf. Es trat wieder tiefe Stille ein.
    »Man sollte euch einen Brusttee kochen«, fügte die Mutter hinzu.
    Er bewahrte seine lautlose Starre.
    »Papa,« flüsterte Cäcilie, »man hat uns ja erzählt, daß er krank sei; aber wir haben nicht mehr daran gedacht...«
    Sie unterbrach sich sehr verlegen. Nachdem sie einen Topf mit Rindfleisch und zwei Flaschen Wein auf den Tisch gestellt hatte, öffnete sie das zweite Paket und zog aus demselben ein Paar riesiger Schuhe hervor. Es war das für den Großvater bestimmte Geschenk und sie hielt ganz betroffen einen Schuh in jeder Hand, während sie die geschwollenen Füße des armen Mannes betrachtete, der wohl nie wieder gehen sollte.
    »Die Schuhe kommen etwas spät, nicht wahr, Alter?« bemerkte Herr Grégoire, um die Unterhaltung ein wenig zu beleben; »aber das schadet nichts; besser spät als nie.«
    Bonnemort hörte nicht und antwortete nicht; sein furchtbares Gesicht behielt die Kälte und Härte eines Steines.
    Da stellte Cäcilie verstohlen die Schuhe neben die Wand hin. Doch sie hatte vergebens Vorsicht geübt, die Nägel klangen hell auf den Fliesen. Das plumpe Schuhwerk in der kahlen Stube war ein Gegenstand der Verlegenheit.
    »Ach, der dankt nicht!« rief die Levaque mit einem Blicke voll Begehrlichkeit nach den Schuhen. Es ist gerade so gut, wie wenn Sie einer Ente Brillen schenkten, -- mit Ihrem Respekt.«
    In diesem Tone fortfahrend, bearbeitete sie die Grégoire, um sie in ihre Behausung zu locken, wo sie sie milder zu stimmen hoffte. Endlich ersann sie einen Vorwand; sie rühmte Leonore und Heinrich als artige, niedliche, kluge Kinder, die auf alle Fragen gescheit wie die Engel zu antworten wüßten. Sie werden alles sagen, was der gnädige Herr und die gnädige Frau zu wissen wünschen.
    »Kommst du einen Augenblick hinüber, Mädel?« fragte der Vater, der ordentlich froh war hinauszukommen.
    »Ja, ich folge euch

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