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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Überschwemmung lockerte bereits die Felsen; auf allen Seiten erfolgten Einstürze. Sie mußten umkehren. Dann wußten sie nicht mehr, nach welcher Richtung sie sich wenden sollten. Es war aus; sie mußten den Gedanken aufgeben, durch den Réquillartschacht aufzusteigen. Ihre einzige Hoffnung war, die höher gelegenen Schläge zu erreichen, wo man sie vielleicht nach dem Sinken des Wassers befreien würde.
    Etienne erkannte endlich die Wilhelmader.
    »Jetzt weiß ich, wo wir sind«, sagte er. »Wir waren auf dem richtigen Wege, aber jetzt ist's vorbei!... Laß uns geradeaus gehen; wir werden durch den Kamin hinaufklettern.«
    Das Wasser reichte ihnen bis an die Brust; sie kamen sehr langsam vorwärts. Solange sie Licht hatten, wollten sie nicht verzagen; sie löschten eine Lampe aus, um das Öl zu sparen und im Bedarfsfalle die andere nachzufüllen. Sie hatten eben den Kamin erreicht, als ein Geräusch, das hinter ihnen entstand, sie den Kopf zu wenden veranlaßte. Kamen etwa die Kameraden zurück, weil ihnen gleichfalls der Weg verrammelt worden? Ein Fauchen wurde immer mehr vernehmbar; sie konnten sich den Sturm nicht erklären, der das schäumende Wasser peitschend immer näher kam. Entsetzt schrien sie auf, als sie eine weißgraue, riesige Masse aus dem Dunkel auftauchen sahen, die zwischen den engen Verholzungen mühsam vordrang, um sie zu erreichen.
    Es war Bataille. Den Aufzugsraum verlassend, war das Pferd wie rasend durch die finsteren Galerien gerannt. Es schien seinen Weg zu kennen in dieser unterirdischen Stadt, die es seit elf Jahren bewohnte; seine Augen sahen klar in der ewigen Nacht, in der es lebte. Es rannte und rannte mit gesenktem Kopfe und eingezogenen Füßen durch die engen Gänge, die sein großer Körper ausfüllte. Es folgte Weg auf Weg, Kreuzung auf Kreuzung: für das Pferd gab es keinen Aufenthalt. Wohin stürmte es? Weithin vielleicht, nach der Vision seiner Jugend, nach der Mühle, wo es zur Welt gekommen, am Ufer der Skarpe; nach der unklaren Erinnerung an die Sonne, die wie eine ungeheure Lampe in der Luft brannte. Es wollte leben; sein tierisches Erinnerungsvermögen erwachte; das Verlangen, die frische Luft der Ebenen einzuatmen, trieb es immer geradeaus fort, bis es das Loch entdeckte, den Ausgang unter dem warmen Himmel nach dem Lichte. In seiner Verzweiflung schwand die lange Ergebung; diese Grube tötete es, nachdem sie es geblendet hatte. Das Wasser, das es verfolgte, reichte ihm bis zu den Schenkeln, bis zum Hinterteil. Doch in dem Maße, als es tiefer in die Galerien eindrang, wurden diese enger; die Wölbung senkte sich, die Mauern legten sich vor. Das Pferd aber rannte weiter, zerschund sich an den Wänden, ließ Fetzen seiner Glieder an der Verzimmerung hängen. Es war, als verenge sich die Grube von allen Seiten, um das Tier zu fangen und zu ersticken.
    Etienne und Katharina sahen es auf sich zukommen und zwischen den Felswänden sich verfangen. Es war gestrauchelt und hatte im Sturze die beiden Vorderbeine gebrochen. Mit einer letzten Anstrengung schleppte es sich noch einige Meter weit; doch seine Lenden waren kraftlos; es war von der Erde umfangen, erwürgt. Es streckte den Kopf aus und suchte mit den großen, brechenden Augen noch einen Spalt. Das Wasser bedeckte es rasch; es begann zu wiehern; und dann folgte dasselbe anhaltende, furchtbare Röcheln, mit dem die anderen Pferde schon im Stalle verendet waren. Es war ein schrecklicher Todeskampf, in dem das alte, zerschlagene, unbewegliche Tier in dieser Tiefe, fern vom Tageslichte sich wand. Sein Notschrei wollte kein Ende nehmen; die Flut benetzte schon seine Mähne, als das Todesröcheln noch rauher aus dem weit offenen Rachen kam. Es gab ein letztes Glucksen, wie wenn eine Tonne sich füllt; dann ward alles still.
    »Oh, mein Gott! Führe mich hinweg«, schluchzte Katharina. »Oh, mein Gott! Ich habe Furcht. Ich will nicht sterben... Führe mich hinweg! Führe mich hinweg!«
    Sie hatte den Tod gesehen. Weder der Einsturz des Schachtes noch die Überschwemmung der Grube hatte ein solches Entsetzen in ihr hervorgerufen als der Todeskampf des Pferdes Bataille. Sie hörte noch immer seinen Schrei; er gellte ihr in den Ohren, ihr ganzer Leib zitterte.
    »Führe mich hinweg! Führe mich hinweg!«
    Etienne packte sie und trug sie hinweg. Es war übrigens Zeit; das Wasser reichte ihnen bis zu den Schultern, als sie in dem Kamin emporkletterten. Er mußte ihr dabei helfen, denn sie hatte nicht mehr die Kraft, sich an den

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