Germinal
Bebert. »Das Geld muß in drei gleiche Teile geteilt werden ... Wenn du sieben Sous für dich behältst, entfallen auf uns beide nur je zwei Sous.«
»Warum ist das ungerecht?« entgegnete Johannes wütend. »Vor allem habe ich mehr Salat gepflückt.«
Gewöhnlich unterwarf sich der andere mit einer furchtsamen Bewunderung und einer Leichtgläubigkeit, die ihn stets das Opfer sein ließ. Obgleich älter und stärker als Johannes, ließ er sich von diesem sogar ohrfeigen. Allein das viele Geld reizte ihn diesmal zum Widerstande.
»Nicht wahr, Lydia, er betrügt uns? ... Wenn er nicht gleichmäßig teilen will, sagen wir es seiner Mutter.«
Als Johannes dies hörte, streckte er dem andern die Faust unter die Nase.
»Sag das noch einmal! Ich werde zu euch gehen und erzählen, daß ihr den Salat, der für die Mutter bestimmt war, verkauft habt ... Und dann, Tölpel, kann man denn elf in drei gleiche Teile aufteilen? Versuche es einmal, wenn du gar so pfiffig bist ... Da hat jeder von euch seine zwei Sous. Nehmt sie rasch, sonst stecke ich sie wieder ein.«
Bebert war besiegt und nahm die zwei Sous. Die zitternde Lydia hatte nichts gesagt; sie hatte vor Johannes die Angst und Zärtlichkeit einer geprügelten kleinen Frau. Als er ihr die zwei Sous reichte, streckte sie mit einem unterwürfigen Lachen die Hand aus. Allein er überlegte sich plötzlich die Sache.
»Was willst du mit dem vielen Gelde anfangen?« fragte er. »Deine Mutter wird es dir sicher abnehmen, wenn du es nicht zu verstecken weißt ... Es ist besser, ich behalte es bei mir. Wenn du Geld brauchst, verlange von mir welches.«
Damit verschwanden die neun Sous. Um sie stille zu machen, hatte er sie lachend umfangen und wälzte sich mit ihr am Boden. Sie war sein Frauchen; sie versuchten in den dunkeln Winkeln die Liebe, die sie zu Hause hinter den dünnen Wänden und zwischen den Türritzen sahen und hörten. Sie wußten alles, aber sie konnten noch nicht, denn sie waren zu jung und tasteten daher nur und spielten stundenlang wie lasterhafte junge Hunde. Er nannte dies »Vater und Mutter spielen« und wenn er sie hinwegführte, lief sie mit ihm und ließ ihn gewähren, mit dem köstlichen Schauer des Instinktes, oft verletzt, aber immer wieder nachgebend, in Erwartung irgendeiner Sache, die nicht kam.
Da Bebert zu solchen Vergnügungen nicht hinzugezogen wurde, vielmehr Kopfnüsse erhielt, wenn er Lydia betasten wollte, war er verlegen und wütend, wenn die anderen zwei sich herzten, was sie völlig ungezwungen in seiner Gegenwart taten. Darum hatte er denn nur einen Gedanken: sie zu erschrecken und zu stören, indem er ihnen zurief, daß man sie sehe.
»Aufgepaßt! Ein Mann schaut zu!«
Diesmal log er nicht; es war Etienne, der sich entschloß, seinen Weg fortzusetzen. Die Kinder sprangen empor und liefen davon; er selbst ging weiter um den Hügel herum und dann den Kanal entlang, erheitert durch den Schrecken dieser kleinen Schelme. Gewiß war es zu früh in ihrem Alter; allein sie sahen und hörten soviele Sachen, daß man sie hätte binden müssen, um sie zurückzuhalten. Im Grunde ward Etienne jedoch traurig gestimmt.
Hundert Schritte weiter stieß er wieder auf Liebespaare. Er hatte Réquillart erreicht, und hier strichen rings um das alte, verfallene Bergwerk alle Mädchen von Montsou mit ihren Liebhabern herum. Es war das gemeinsame Stelldichein, dieser entlegene und öde Winkel, wo die Schlepperinnen ihr erstes Kind machten, wenn sie nicht den Mut hatten, es in dem Schuppen zu tun. Die zerbrochenen Palisaden eröffneten jedem einen Zugang zu dem ehemaligen Werkhofe, aus dem jetzt ein wüstes Feld geworden, angefüllt mit den Trümmern zweier eingestürzter Schuppen und dem Gerippe der großen, aufrecht gebliebenen Gerüste. Außer Gebrauch gesetzte Karren standen umher; alte, halb verfaulte Hölzer waren zuhauf geschichtet, während ein üppiges Wachstum diesen Fleck Erde überwucherte und sich in Gestalt von dichtem Grase ausbreitete, in Gestalt von kräftigen, jungen Bäumen in die Höhe schoß. Jedes Mädchen war hier gleichsam zu Hause; es gab abseits gelegene Winkel für alle; ihre Liebsten brachten sie auf den Balken, hinter den Hölzern, in den Karren zu Falle. Man suchte Unterschlupf, wo man konnte und kümmerte sich nicht um die anderen. Es schien, als sei dieses Treiben rings um die erloschene Maschine, neben dem Schachte, der es müde geworden, die Kohle auszuspeien, eine Vergeltung der Schöpfung, die freie Liebe, die von
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