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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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dem Instinkt angetrieben, Kinder in die Leiber dieser halbwüchsigen Mädchen pflanzte.
    Indes wohnte ein Wächter da, der alte Mouque, dem. die Gesellschaft zwei, fast unter dem niedergerissenen Schachtturme gelegene Stuben überließ, die der stetig zu gewärtigende Einsturz der letzten Balken zu zermalmen drohte. Er hatte einen Teil der Decke stützen müssen und lebte da sehr behaglich mit seiner Familie, er und Mouquet in der einen Stube, die Mouquette in der anderen. Da es in den Fenstern keine einzige Scheibe mehr gab, hatte er sich entschlossen, sie mit Brettern zu vernageln; dies machte die Stuben dunkel, aber auch recht warm. Im übrigen hatte dieser Wächter nichts zu bewachen; er wartete die Pferde im Voreuxschachte und kümmerte sich nicht um die Ruinen der Réquillartgrube, deren Einfahrt man nur offen ließ, um sie als Lüftungsschacht für die benachbarte Grube zu benutzen.
    So verlebte Vater Mouque hier seine alten Tage, umgeben von Liebeshändeln. Schon mit zehn Jahren hatte die Mouquette es in allen Winkeln dieser Trümmer getrieben, nicht als scheues, grünes Gassenmädchen wie Lydia, sondern als eine schon entwickelte Dirne, gut für bärtige Jungen. Der Vater konnte nichts einzuwenden haben, denn sie betrug sich ihm gegenüber mit geziemender Achtung und brachte niemals einen Liebhaber ins Haus. Er war übrigens an diese Dinge gewöhnt. Wenn er nach dem Voreuxschachte ging oder von dort zurückkehrte, sooft er eben sein Nest verließ, konnte er keinen Schritt tun, ohne auf ein Pärchen zu stoßen, das im Grase lag; noch schlimmer war es, wenn er am andern Ende des eingefriedeten Raumes Holz sammeln wollte, um seine Suppe zu kochen oder Klebekraut für seine Kaninchen; dann sah er alle Mädchen von Montsou nacheinander die lüsternen Nasen heben und mußte aufpassen, um nicht über die Beine zu straucheln, die sich bis hart an die Pfade streckten. Allmählich ward durch solche Begegnungen niemand mehr gestört, weder er, der nur achthatte, daß er nicht fiel, noch die Dirnen, die er ruhig ihre Sache beenden ließ, indem er sich still davonschlich als wackerer Mann, den die Dinge der Natur ruhig ließen. Allein gleichwie sie ihn kannten, hatte auch er sie schließlich kennengelernt, wie man die kecken Elstern kennenlernt, die auf den Obstbäumen des Gartens Unzucht treiben. Wie diese Jugend sich gütlich tat! Zuweilen nickte er mit stillem Bedauern und wandte den Kopf weg von den Dirnen, die in ihren dunkeln Winkeln gar zu laut schnauften. Bloß eine Sache verdroß ihn: zwei Verliebte hatten die üble Gewohnheit, sich hinter der Wand seiner Stube zu umarmen. Nicht als ob ihn dies am Schlafen hinderte; aber sie stießen so heftig an, daß sie auf die Dauer die Wand erschütterten.
    Jeden Abend erhielt der alte Mouque den Besuch seines Freundes, des Vaters Bonnemort, der vor dem Abendessen regelmäßig denselben Spaziergang machte. Die beiden Alten redeten nicht viel, tauschten kaum zehn Worte während der halben Stunde aus, die sie zusammen verbrachten. Aber es freute sie, sich so zusammenzufinden, an die Dinge von einst zu denken, die sie gemeinsam neu durchlebten, ohne davon zu reden. Zu Réquillart setzten sie sich auf einen Balken Seite an Seite, ließen von Zeit zu Zeit ein Wort fallen und versanken dann wieder in ihre Träumerei, die Blicke zu Boden gesenkt. Ohne Zweifel verjüngten sie sich. Rings um sie her kosten Burschen mit ihren Schätzen; es gab ein Geräusch von Küssen und Lachen, ein warmer Weibergeruch stieg aus dem zerdrückten, frischen Grase auf. Hinter dieser Grube hatte vor dreiundvierzig Jahren der Vater Bonnemort sich sein Weib geholt, eine Schlepperin, die so schwächlich war, daß er sie in einen Karren setzte, um sie bequem umarmen zu können. Das war schon lange her! Die beiden Alten schüttelten die Köpfe und trennten sich endlich, oft ohne sich auch nur »Gute Nacht!« zu sagen.
    Diesen Abend jedoch sagte, eben als Etienne ankam, der Vater Bonnemort, indem er sich vom Balken erhob, um heimzukehren, zu seinem Kameraden Mouque:
    »Gute Nacht, Alter! ... Sprich, hast du die »Brenzliche« gekannt?«
    Mouque blieb einen Augenblick stumm und zuckte nur mit den Achseln; dann sagte er, ins Haus zurückkehrend:
    »Gute Nacht! Gute Nacht, Alter!«
    Jetzt ließ sich Etienne auf dem Balken nieder. Seine Traurigkeit wuchs, ohne daß er wußte weshalb. Der Greis, dessen Rücken er verschwinden sah, erinnerte ihn an seine Ankunft am Morgen und die vielen Worte, die der ärgerliche

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