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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Wind dem stillen Alten erpreßt hatte. Wieviel Elend! Alle diese Mädchen, die, von der Arbeit erschöpft, noch dumm genug waren, des Abends Kinder zu machen, Geschöpfe in die Welt zu setzen, deren Schicksal harte Arbeit und Elend war! Das nahm nie ein Ende, wenn sie sich immer wieder die Leiber mit Hungerleidern anfüllen ließen. Sollten sie sich nicht lieber den Bauch verstopfen und die Schenkel zusammenpressen, wie bei der Annäherung eines Unglücks? Vielleicht hing er nur deshalb solchen trüben Gedanken nach, weil es ihn verdroß, allein zu sein, während die anderen jetzt zu zwei und zwei ihres Weges gingen und sich vergnügten. Das milde Wetter drückte auf ihn; einzelne Regentropfen fielen auf seine fiebernden Hände. Jawohl, alle diese Mädchen fielen der Leidenschaft zum Opfer; sie war stärker als die Vernunft.
    Wie Etienne im Dunkel unbeweglich dasaß, kam eben ein Paar von Montsou her an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken, und betrat das wüste Feld des Réquillartschachtes. Das Mädchen, sicherlich noch eine Jungfrau, wehrte sich, weigerte sich und bat leise um Schonung, während der Bursche sie wortlos nach einem dunkeln Schuppen drängte, der noch aufrecht stand und unter dem altes, schimmeliges Tauwerk in einem Haufen lag. Es war Katharina mit dem langen Chaval. Etienne hatte sie nicht erkannt, als sie vorübergingen, und folgte ihnen mit den Augen, er lauerte auf das Ende der Geschichte, von einer Sinnlichkeit ergriffen, die seinen Gedanken eine andere Richtung gab. Warum hätte er sich einmengen sollen? Wenn die Mädchen sich weigern, wollen sie genötigt werden.
    Das Dorf der Zweihundertvierzig verlassend, war Katharina immer auf der Straße nach Montsou gegangen. Seit ihrem zehnten Jahre, nämlich seitdem sie ihren Lebensunterhalt in der Grube erwarb, streifte sie so in der Gegend umher in der vollen Freiheit, welche die Grubenarbeiterfamilien genossen; wenn mit fünfzehn Jahren noch kein Mann sie gehabt, so hatte sie dies dem später Erwachen ihrer Mannbarkeit zu danken, deren Krise sie noch erwartete. Bei dem gesellschaftlichen Werkhofe angekommen, ging sie quer über die Straße und trat bei einer Wäscherin ein, wo sie die Mouquette sicher zu finden hoffte; denn diese lebte in Gesellschaft von Weibern, die vom Morgen bis zum Abend da herumsaßen und sich gegenseitig Kaffeetäßchen zahlten. Allein zu ihrem Verdruß mußte sie erfahren, daß die Mouquette soeben die Gesellschaft reguliert hatte und folglich ihr die versprochenen zehn Sous nicht leihen konnte. Vergebens bot man ihr, um sie zu trösten, ein Glas heißen Kaffee an. Sie wollte auch nicht, daß ihre Kameradin von einem anderen Frauenzimmer die zehn Sous entlehne. Eine Regung der Sparsamkeit kam über sie, eine Art abergläubischer Furcht, die Gewißheit, daß das Band, wenn sie es jetzt kaufe, ihr Unglück bringen werde.
    Sie beeilte sich, den Heimweg einzuschlagen, und war schon bei den letzten Häusern von Montsou, als ein Mann, der auf der Schwelle der Herberge Piquettes stand, sie anrief:
    »He, Katharina, wohin so geschwind?«
    Es war der lange Chaval. Sie war verdrossen über diese Begegnung, nicht weil er ihr mißfiel, sondern weil sie nicht zum Spaßen gelaunt war.
    »Komm herein, etwas trinken ... Ein Gläschen Süßen, -- willst du?«
    Sie lehnte artig ab; die Nacht sei da, man erwarte sie zu Hause. Er war näher gekommen bis mitten in die Straße und bat sie mit leiser Stimme. Er trug sich schon lange mit der Absicht, sie zu bestimmen, in das Zimmer zu kommen, das er im ersten Stockwerke der Herberge Piquettes bewohnte, ein schönes Zimmer mit einem so großen Bette, daß ein Ehepaar darin Platz gefunden habe. Habe sie denn Furcht vor ihm, daß sie sich weigere? fragte er. Sie lachte gutmütig und erwiderte, sie werde in der Woche kommen, in der keine Kinder wachsen. Dann von einer Sache zur andern kommend, sprach sie von dem blauen Bande, das sie nicht hatte kaufen können.
    »Ich will dir eines kaufen«, rief er.
    Sie errötete, weil sie fühlte, daß sie wohl daran tue, noch immer abzulehnen; im Grunde ward sie aber dennoch von dem Verlangen geplagt, ihr Band zu haben. Sie kam wieder auf den Einfall eines Anlehens und nahm schließlich sein Anerbieten an unter der Bedingung, daß sie ihm zurückgebe, was er für sie ausgeben solle. Das gab wieder Anlaß zu Scherzen; sie kamen überein, daß sie ihm das Geld zurückerstatte, wenn sie nicht mit ihm schlafe. Eine neue Schwierigkeit ergab sich, als er davon sprach, daß

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