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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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nimmt, daß man darin eingeschlossen ist. Ich wünsche niemandem Schlimmes, aber manchmal empört mich diese Ungerechtigkeit.
    Ein Schweigen trat ein; alle verschnauften sich einen Augenblick in dem unbestimmten Unbehagen angesichts des verschlossenen Horizontes. Nur wenn der Vater Bonnemort da war, riß er erstaunt die Augen auf; zu seiner Zeit habe man sich nicht so gequält; man sei in der Kohle geboren und hämmere in den Kohlengängen, ohne nach anderem zu verlangen; heute wehe ein Wind, der in den Bergleuten einen Ehrgeiz wachrufe.
    »Man soll nichts verspeien«, brummte er. »Ein guter Schoppen ist ein guter Schoppen ... Die Vorgesetzten sind oft Halunken; aber Vorgesetzte wird es immer geben, nicht wahr? Es ist unnütz, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.«
    Sogleich fuhr Etienne auf. Wie, der Arbeiter solle nicht nachdenken dürfen? Ei, die Dinge würden ja nur deshalb in Bälde besser werden, weil der Arbeiter heutzutage nachdenke. Früher habe der Bergmann in der Grube wie ein Tier gelebt, wie eine Fördermaschine, immer unter der Erde, taub und blind für die Ereignisse der Außenwelt. Die herrschenden Reichen hätten es denn auch leicht, sich zu verständigen, ihn zu kaufen und zu verkaufen, um sein Fleisch zu essen; er habe es gar nicht geahnt. Jetzt erwache der Bergmann in seiner Grube; er keime in der Erde wie ein wirkliches Korn; man werde ihn eines Tages mitten aus den Feldern emporwachsen sehen; jawohl, Männer würden wachsen, eine Armee von Männern, welche die Gerechtigkeit wiederherstellen. Seien denn seit der Revolution nicht alle Bürger gleich? Man gebe zusammen seine Stimme ab: dürfe der Arbeiter noch länger der Sklave des Arbeitgebers sein, der ihn bezahle? Die großen Gesellschaften mit ihren Maschinen erdrückten alles, und man habe gegen sie nicht einmal mehr den Schutz der alten Zeit, als die Leute vom nämlichen Handwerk sich zu ihrer Verteidigung zusammentaten. Deswegen und anderer Dinge wegen werde -- dank der fortgeschrittenen Bildung -- eines Tages alles in die Luft fliegen. Man brauche nur einen Blick in das Arbeiterdorf zu tun: die Großväter hätten ihren Namen nicht zu unterschreiben gewußt; die Väter könnten ihn schon unterschreiben, die Söhne aber schrieben und läsen wie Professoren. Es sprieße allmählich eine herrliche Saat von Männern hervor, die in der Sonne reife. Sobald nicht jedermann sein ganzes Leben lang an demselben Fleck klebe und man den Ehrgeiz habe, sich an die Stelle des Nachbars zu setzen: warum solle man nicht seine Fäuste gebrauchen und trachten, der Stärkere zu sein?
    Maheu war wankend gemacht, blieb aber von Mißtrauen erfüllt.
    »Wer sich rührt, dem gibt man sein Arbeitsbuch zurück«, sagte er. »Der Alte hat recht: der Bergmann wird immer der Geplagte sein ohne Aussicht, von Zeit zu Zeit einen Hammelbraten essen zu können.«
    Die Maheu, die seit einer Weile geschwiegen, sagte jetzt, wie aus einem Traum erwachend:
    »Wenn wenigstens wahr wäre, was die Pfarrer erzählen: daß die Armen dieser Welt die Reichen sein werden in der andern Welt.«
    Lautes Gelächter unterbrach sie; selbst die Kinder zuckten mit den Achseln; das Leben außer dem Hause hatte sie ungläubig gemacht; wohl fürchteten sie die Berggeister, doch machten sie sich über den leeren Himmel lustig.
    »Ja, prosit die Pfarrer!« rief Maheu. »Wenn sie es glaubten, würden sie weniger essen und mehr arbeiten, um sich einen guten Platz da oben zu sichern. Nein, nein; wenn man tot ist, ist man tot.«
    »O mein Gott! mein Gott!« jammerte die Maheu; »sollen wir denn wirklich für immer verloren sein?«
    Sie ließ in unendlicher Trostlosigkeit die Hände auf die Knie niedersinken.
    Alle schauten einander an. Der Vater Bonnemort spie in sein Taschentuch, während Maheu seine kalte Pfeife anzubrennen vergaß. Alzire hörte zu, zwischen Leonore und Heinrich sitzend, die am Tische eingeschlafen waren. Katharina, das Kinn auf die Hand gestützt, schaute mit ihren großen Augen unverwandt auf Etienne, wenn er voll Unmut sein Glaubensbekenntnis hersagte und die zauberische Zukunft seines sozialen Traumes erschloß. In den Häusern ringsumher ging man zur Ruhe; man hörte nichts mehr als das ferne Weinen eines Kindes oder das Gezänk eines verspäteten Trunkenboldes. Die Kuckucksuhr im Saale ließ ihr langsames Ticktack vernehmen; von den mit Sand bestreuten Fliesen stieg trotz der schwülen Luft eine kühle Feuchtigkeit auf.
    »Das sind auch wieder solche Gedanken!« sagte der

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