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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kerze auslöschen sehen. Auch sie schien in großer Erregung, von einer jener Züchtigkeitsregungen gequält, in denen sie zuweilen so hastig und ungeschickt sich entkleidete, daß sie sich nur noch mehr entblößte. Unbeweglich, wie tot, lag sie in der Finsternis in ihrem Bette; aber er merkte dennoch, daß sie nicht schlief. Er fühlte es, daß sie an ihn denke, gleichwie er an sie dachte; niemals hatte dieser stumme Austausch ihrer Wesen sie mit einer solchen Verwirrung erfüllt. Es vergingen Minuten, weder er noch sie bewegten sich; nur ihr Atem floß zusammen trotz ihrer Anstrengungen, ihn zurückzuhalten. Zweimal war er auf dem Sprunge, sich zu erheben und Besitz von ihr zu ergreifen. Es war doch töricht, so großes Verlangen nacheinander zu tragen und es nicht zu befriedigen. Warum ihren Begierden trotzen? Die Kinder schliefen; sie war bereit; er war sicher, daß sie seiner mit stockendem Atem harrte, daß sie stumm, mit zusammengepreßten Zähnen die Arme um ihn schlingen würde. So verfloß nahezu eine Stunde. Er ging nicht hin, um sie in Besitz zu nehmen; sie wandte sich nicht um aus Furcht, daß sie ihn rufen könne. Je mehr sie Seite an Seite lebten, desto mehr erhob sich zwischen ihnen eine Scheidewand von Scham, Widerstreben, freundschaftlicher Zartheit, welche sie sich selbst nicht erklären konnten.
     

Viertes Kapitel
    »Höre Mann,« sagte die Maheu zu ihrem Gatten, »wenn du nach Montsou gehst, um deinen Lohn in Empfang zu nehmen, bringe mir ein Pfund Kaffee und ein Kilo Zucker mit.«
    Maheu war damit beschäftigt, einen seiner Schuhe zu flicken, um so den Schuster zu ersparen.
    »Gut«, brummte er, ohne in seiner Arbeit innezuhalten.
    »Ich möchte auch, daß du zum Fleischer gehst. Ein Stück Kälbernes wäre nicht schlecht; wir haben schon lange keines gesehen.«
    Jetzt blickte er auf.
    »Glaubst du denn, ich habe Tausende zu bekommen? ... Der Halbmonatlohn wird mager ausfallen, in Anbetracht daß sie fortwährend die Arbeit unterbrechen lassen.«
    Jetzt schwiegen beide. Es war nach dem Frühstück an einem Sonnabend zu Ende des Oktober. Unter dem Vorwande, daß die Lohnauszahlung störe, hatte die Gesellschaft heute wieder die Kohlenförderung in allen Schächten eingestellt. Angesichts der immer drückenderen industriellen Krise und weil sie die ohnehin großen Vorräte nicht noch mehr vergrößern wollte, war ihr jeder Vorwand gut genug, um ihre zehntausend Arbeiter feiern zu lassen.
    »Du weißt, daß Etienne dich bei Rasseneur erwartet«, fuhr die Maheu fort. »Er wird pfiffiger sein als du, um sich herauszuhauen, wenn man euch die Arbeitsstunden nicht richtig berechnen sollte.«
    Maheu nickte zustimmend.
    »Sprich auch mit den Herren wegen deines Vaters. Der Arzt steckt da mit der Direktion sicherlich unter einer Decke ... Nicht wahr, Alter, der Doktor irrt sich; ihr könnt noch arbeiten?«
    Seit zehn Tagen saß Vater Bonnemort mit steifen Beinen auf einem Sessel wie angenagelt. Die Maheu mußte die Frage wiederholen; dann brummte er:
    »Gewiß werde ich arbeiten. Wenn man schlechte Beine hat, ist man doch noch nicht fertig. Das sind so Geschichten, die sie nur erfinden, um mir nicht meine Pension von hundertachtzig Franken geben zu müssen.«
    Die Maheu dachte an die vierzig Sous Taglohn, die ihr der Alte vielleicht nie wieder bringen werde, und dieser Gedanke erpreßte ihr einen Angstschrei.
    »Mein Gott, wir werden bald alle tot sein, wenn das so fortdauert.«
    »Wenn man tot ist, hat man keinen Hunger«, sagte Maheu.
    Er schlug noch einige Nägel in seine Schuhe und machte sich endlich auf den Weg. Das Dorf der Zweihundertvierzig sollte erst um vier Uhr abgelohnt werden. Die Männer beeilten sich denn auch nicht sehr, verweilten auf der Straße, gingen einer nach dem andern, verfolgt von ihren Weibern, die sie baten, sogleich zurückzukehren. Viele gaben ihren Männern Aufträge, um sie zu hindern, sich in den Schenken zu vergessen.
    Etienne war bei Rasseneur eingetreten, um Neuigkeiten einzuholen. Allerlei beunruhigende Gerüchte waren in Umlauf; man erzählte, die Gesellschaft sei mit den Verholzungen immer unzufriedener. Es regnete Geldstrafen auf die Arbeiter nieder; ein Zerwürfnis schien unausweichlich. Das war übrigens nur der eingestandene Zwist, unter dem sich geheime und ernste Ursachen bargen.
    Eben als Etienne ankam, erzählte ein Kamerad, der von Montsou zurückgekehrt seinen Schoppen trank, daß bei dem Kassierer eine Kundmachung angeschlagen sei; aber er wisse nicht,

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