Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
einem innerlichen Schulterklopfen belohnt.
Am aufregendsten – und erfreulichsten – war es, wenn mich diejenigen, die auf meiner internen »Festplatte« als unangenehm registriert waren, mit dem Gegenteil überraschten. Auch die aufgesetzt zuckersüßen Töne waren meist nicht von langer Dauer. Der wahre Charakter kommt immer irgendwann zum Vorschein wie Unkraut, das durch Beton bricht.
Wenn zum Beispiel Luise Petersen den Grill betrat, mit teurem Nerzmantel, den Nerzhut weit in die Stirn gezogen (damit man die unordentliche Frisur nicht sieht), minutenlang beim Eingang verweilend, ehe sie zu einem Entschluss findet, wusste ich sogleich: »Heute gibt es Berg-und-Tal-Fahrt.« Damit war ich einverstanden, denn dafür war ich gerüstet. Sie war mein Sparringpartner im Ring, und mein Ziel war es, a priori zu verlieren. Denn: »Wenn der Kellner gewinnt, hat er den Gast verloren.« Wie ich schon eingangs erwähnte, sollte ein Oberkellner viele Berufe und Funktionen nebenbei haben. Heute waren Diplomatie und Ironie gefragt. Ich war mir sicher, nachdem sie mich und die ganze verdorbene Welt in Grund und Boden verdammt hatte, würde mir Frau Petersen ein spezielles Trinkgeld geben. Quasi als Entschuldigung und Entschädigung für ihr selbst erkanntes schlechtes Benehmen. Und doch ging es mir nicht um dieses Extra, mir war es nur darum zu tun, diese Frau für Augenblicke der Bitterkeit des Alltags zu entreißen. Um eine etwas bessere Stimmung zu inszenieren, brachte ich das Gespräch auf das Thema »Hund«. Sie besaß einen kleinen Vierbeiner, bei dem zwischen vorn und hinten keinerlei Unterschied zu erkennen war. Wohl ihr einziger »Gesprächspartner«, außer den Kellnern. Da verzogen sich die Sturmwolken und die Sonne brach durch.
Bei Siegrun Stratemann war es immer sehr einfach zu erkennen, was heute gewünscht wird. Sie war Trinkerin und sich dessen nicht wirklich bewusst. Sobald sie, unausweichlich, ihre ersten Giftpfeile abschoss, die gerne auf ihren Mann gezielt waren, spendierte ich ein Glas »aufs Haus«, dann war die Welt wieder für eine Weile akzeptabel. Nach dem Hauptgericht, das Frau Stratemann gemeinsam mit ihrem inzwischen eingetroffenen Gatten zu sich nahm, war Milde eingekehrt. Die Zeit arbeitete für mich. Geduld (und bisweilen ein guter Trunk) macht aus dem Bären ein Lamm.
Aber zurück zum noch nie gesehenen, völlig unbekannten Gast. Auch er stellte mir in der Regel keine unlösbaren Aufgaben. Das waren keine Sudokus, die nicht zu knacken wären, auch wenn die Lösung bisweilen knifflig war. Beim unbekannten Gast nach kurzem In-Augenschein-Nehmen zu erkennen, welchen Platz er haben und welchen er auf keinen Fall haben will, ist die erste zu erratende Zahl. War die erste Zahl die richtige, dann sind die folgenden schon leichter zu finden. Die nächste Zahl: Will er Beratung oder denkt er, dass ihn ohnedies jeder falsch berät? All das verraten seine Brille und sein Blick. Dafür bedarf es meist noch keiner besonderen psychologischen Kenntnisse. Interessant und kitzelig fand ich es, wenn ich bis in die Zehenspitzen eine Art telepathisches Vibrieren verspürte, das mir signalisierte: Es wird etwas gewünscht, was wir nicht vorrätig haben. Ein einfaches Nein gibt es da nicht. Jetzt bedurfte es Blitzdenken. Was empfehle ich als Alternative für das noch nicht erwähnte Gericht? Irgendein Ausweg muss sich finden lassen.
Es ist auch ein nachgerade unverzeihlicher Fehler, dem Gast schon zu Beginn zu sagen, dass dieses oder jenes Gericht schon aufgegessen, nicht mehr vorrätig ist, denn dann will er es bestimmt haben. Nicht direkt aus Trotz; nein, er glaubt wirklich, dass er gerade heute, hier und jetzt, auf diese Speise, die ihm in vergangenen Zeiten verhasst war, großen Appetit hat.
Eine typische Eigenschaft konnte ich speziell bei Damen feststellen. Selbst wenn sie etwas nicht wollen, so ärgert es sie doch, wenn es eine andere kriegt. Egal, ob es sich dabei um eine Speise, ein Kleid oder einen Mann handelt. Alles wird gleich vom Zahn des Neides benagt.
Verflixte Welt, wo ist mein Geld?
Volles, rotes Haar, eine blumenübersäte Wiese von Sommersprossen im Gesicht. Ein breites Gewinnerlachen und vierzig Jahre jung. Glitzer und Gleiß an Ohren, Hals, Armen und Händen. Glamourös. Meine erste grobe Einschatullung: Da kann nichts schiefgehen. Wer so freundlich, so bezaubernd aussieht, so aus vollem Herzen lacht, kann nur guten Sinnes sein. Alles deutet auf eine angenehme Routinebegegnung hin. Kein
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