Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
in Bälde eine Premiere von Wer hat Angst vor Virginia Wolf? , dafür proben sie sogar während des Essens. Kunstbesessene.« Ob man mir das geglaubt hat, weiß ich nicht. Ich habe es schließlich selber auch nicht geglaubt.
Die Auseinandersetzung wurde immer heftiger, bis Katharina aufgelöst und unter Tränen den Tisch verließ. Sie rief noch: »Jetzt gehe ich in die Elbe und ertränke mich.« Worauf Ulli in derselben Tonlage antwortete: »Geh lieber in die Alster, weil bis zur Elbe überlegst du es dir doch wieder anders.«
Ja, sie überlegte es sich wirklich anders, indem sie weder in Elbe noch Alster, sondern nach Hause ging und auf Ulli wartete. Er kam mit einer Flasche Rotwein in der einen Hand und einem Blumenstrauß, den ich ihm schnell aus unserer Gärtnerei besorgt hatte, in der anderen sowie den liebevollsten Blicken in den smaragdgrünen Augen. Das nennt man taktische Schadensabwendung.
Heute sind die beiden längst verheiratet und ein glückliches Paar. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute in der Toskana oder in Venedig, mit Hund. Worum es bei dem Disput damals ging, wissen beide nicht mehr.
Ente gut, alles gut!
Der unbekannte Gast
Die Mehrzahl der Menschen ist so: Macht man ihnen bescheiden Platz, so werden sie unverschämt. Versetzt man ihnen aber Ellbogenstöße und tritt ihnen auf die Füße, so ziehen sie den Hut.
Johann Nepomuk Nestroy
Oberkellner Skrivánek und die Kunst des Vorausahnens
Die größeren Anforderungen als der weithin bekannte Gast, die Prominenz, stellt oftmals der unbekannte Gast. Selbstverständlich will auch er genauso zuvorkommend bedient werden, natürlich ist er es nicht minder wert, dass man sich nach Kräften um ihn kümmert und ihm die gebührende Aufmerksamkeit widmet, und so soll dies auch auf diesen Seiten geschehen.
Das wunderschöne Buch Ich habe den englischen König bedient des tschechischen Autors Bohumil Hrabal, mir bis dato unbekannt, habe ich von einer deutschen Verlegerin nach einem sehr anregenden Gespräch als Präsent erhalten, und die außergewöhnlichen, ja fantastischen psychologischen Erkenntnisse der Romanfigur Oberkellner Sk ř ivánek haben mich so beeindruckt und beflügelt, dass ich ihn zum Vorbild erwählt und mir vorgenommen habe, ein wenig bei ihm zu stibitzen. Natürlich war es mir unmöglich, stets bereits im Voraus so detailliert über das Begehr des Gastes Bescheid zu wissen wie Oberkellner Sk ř ivánek, der schon nach einem kurzen Blick auf den Gast weiß, was er bestellen wird. Und nicht etwa nur, dass es Kaffee sein wird; er ist sich auch sofort über die Art des Kaffees im Klaren – ob kleiner Brauner, Fiaker, Schale Gold oder Teeschale et cetera. Mit neunundneunzigprozentiger Treffsicherheit.
Ich habe mich in meinen Kellnerjahren weniger darauf spezialisiert, schon beim Eintreffen des Gastes vorauszuahnen, was er konsumieren wird, sondern habe das Hauptaugenmerk zunächst mehr auf seinen Charakter gelegt. Ist es ein angenehmer Gast, ein Problemfall oder wird es ein Gast sein, der sehr viel Zuwendung und Aufmerksamkeit, im besten Sinne, erwartet? Das herauszufinden war immer die erste Aufgabe. Welchen Verlauf wird unsere Begegnung nehmen? Diese Überlegungen anzustellen war für mich quasi eine sportliche Betätigung; ein Test, wie weit sich die Menschen tatsächlich im Voraus in Schubladen einordnen lassen. Außerdem halfen sie mir, im Umgang mit dem Gast den richtigen Ton einzuschlagen.
Mit dem Orakel, was der Gast wohl zu essen und zu trinken gedenke, konfrontierte ich mich demgegenüber erst bei Tisch. Auf eine ziemlich genaue Treffsicherheit bei diesem Kopfspiel war auch ich bedacht. Ob ein Gang oder zwei, war meist einfach zu eruieren. Ebenso ob Fisch oder Fleisch. Auch wer wohl den preiswerteren sogenannten Business Lunch wählen würde, ließ sich leicht erraten. Die meisten Menschen signalisieren schon aus der Entfernung ihre Befindlichkeit, ihre Tagesverfassung, ihren momentanen Gemütszustand. Eine Frisur, ob Mann oder Frau, erzählt eine lange Lebensgeschichte. Die Kleidung vertritt eine Lebensanschauung. Die kann aber auch gebrochen sein: Es ist mir oft untergekommen, dass etwa die Schuhe eines Herrn die Aussage des Anzugs ins genaue Gegenteil verkehrten. Dann wurde es kompliziert. Ansonsten hatte ich meist leichtes Spiel. Wenn es mir gelungen war, eine »Krawallschachtel« zur Räson zu bringen und positiv umzustimmen, ohne dass sie es bemerkte, dann habe ich mich still und heimlich mit
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