Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Zeichen auf Schlechtwetter. Eine große Hilfe ist ein rascher Blick auf die Schuhe. Sind sie, bei Herren, mit etwas höheren Absätzen versehen als modeüblich, steigt auch die Alarmstufe entsprechend. Bei der Klassifikation »bös« und »giftig« ist eine verbale Demonstration domestikenhafter Unterwerfung die einzig erfolgversprechende Antwort.
Dieses Mittel ließ ich, wenn ich im Zweifel war, stets zumindest so lange in Anwendung kommen, bis ich mich in Sicherheit wähnen konnte. Doch war auch die Lust am Wagnis immer gegenwärtig. So hat ein kleiner, etwa fünfzigjähriger italienischer Gast (er war bei einer großen Hamburger Zigarettenfabrik beschäftigt) meine Befürchtungen einmal positiv enttäuscht. Er hatte dunkelblondes, rötlich schimmerndes Haar, ein zerknittertes, verbittertes Gesicht, und jeder Mitarbeiter hatte größten, mit Furcht gepaarten Respekt vor ihm.
Die Sache ist viele Jahre her. Ich war noch jung und ein kleiner Kommis. Wenn er das Restaurant betrat, flüchtete, wer konnte. Ich ging unerschrocken aufs Ganze, blieb mitten im Raum stehen und begrüßte ihn mit seinem Namen. Das erstaunte ihn und er sagte: »Sie kennen meinen Namen? Sie haben ein gutes Gedächtnis.« Ich antwortete: »Ich merke mir nicht viel, nur das Wichtigste.« Damit war das Eis gebrochen. Im Geiste warf ich mich vor ihm zu Boden, bot ihm den schönsten Platz an, gab ihm zu verstehen, dass er allein der einzige Gast von Größe sei und weit über die Würde unseres Hauses erhaben. Das war diesem kleinen Mann Balsam für Seele, Auge und Ohr. Das war ein Blattschuss. Beim Weggehen gab er mir die Hand und noch dazu ein dickes Trinkgeld – was er zuvor nie getan hatte. Der Gunst des »Giftzwergs« war ich nun sicher – der Missgunst meiner mutlosen Kollegen auch.
Herr Sk ř ivánek hätte es nicht anders gemacht.
Das Essen ist noch warm
Auch ich hatte meine Momente besonderer kulinarisch-gastronomischer Intuition, die schon fast an die Hellsicht eines Sk ř ivánek heranreichten – obwohl ich den englischen König nie bedient habe. Nun ja, manchmal mag es auch Glück oder Zufall gewesen sein. Meine langjährige gute Freundin Sabine Alm, tätig im Schloss Ahrensburg, wandte sich mit der Bitte um Beratung an mich. Sie wollte einer Kollegin, die ihr viel Gutes getan hatte, einen besonderen, ja unvergesslichen Abend bereiten. Es sollte ein festliches Abendessen in stilvoller Umgebung sein. Selbstverständlich habe ich den Jahreszeiten-Grill empfohlen und meine Hilfe bei der Wahl der Speisenfolge angeboten. Es blieb mir überlassen, welche Gerichte ich auswählte. Es sollten derer vier sein: Vorspeise, Suppe, Hauptgericht und Dessert.
Der Ehrengast, Herr Hackenberg, war mir unbekannt. Wenn man die Gäste nicht kennt, sollte man keine außergewöhnlichen Speisen anbieten. Es wäre ungünstig, als Hauptspeise etwa Reh- oder Lammbraten aufzuwarten. Das könnte schiefgehen. Es ist ein Ding von höchster Unannehmlichkeit, wenn jemand, nur weil er eingeladen ist, eine Speise mit Widerwillen essen muss. Ich entschied mich für gebratenes Rinderfilet. Eine neutrale Geschichte, das essen fast alle Gäste gern, Vegetarier natürlich ausgenommen.
Gesagt, getan. Die Gäste kommen, gehüllt in prachtvollen Sonntagsstaat und mit strahlenden Gesichtern. Und das mitten in der Woche. Ich führe sie zum schönsten Tisch am Fenster mit herrlichem Blick auf die Binnenalster, von vielen Hamburgern auch die gute Stube der Stadt genannt. Einen schöneren Platz gibt’s in ganz Hamburg nicht. Alle sind freudig aufgeregt. Die Damen enthusiastisch, die Herren etwas zurückgenommen. Noch.
Zum Aperitif trinkt man Champagner. Die Stimmung ist bestens. Beim Betrachten des Horsd’œuvre entfährt Lisa, der Frau des Ehrengastes, ein »Aahh!«. Ebenso bei der Suppe, und ein allgemeines »Ah!« macht die Runde. Nun, dachte ich, geht alles gut.
Die Vorgerichte sind verzehrt, es kommt das Hauptgericht. Der Filetbraten auf einer ovalen Silberplatte mit buntem Gemüse und knusprig braunen Bratkartoffeln. Sauce béarnaise noch dazu. Als Lisa Hackenberg diese fein angerichteten dampfenden Speisen sieht, gibt sie nun kein »Ah«, sondern ein teils erschrocken, teils freudig klingendes »Oh« von sich.
»Mein Gott, habe ich etwas falsch gemacht?«, frage ich die sichtlich erregte Dame.
»Nein, nein«, sagt sie und lächelt mich beruhigend an. »Alles ist wunderbar«, fährt sie fort, »so eine Zufall, wir haben heute Hochzeitstag und vor 33 Jahren haben wir
Weitere Kostenlose Bücher