Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
seinen Teller: Kohlrabi!
Ein so verdutztes Gesicht hatte ich zuvor noch nie bei ihm gesehen. Nicht einmal während seiner Dirigate, und da schneidet er oftmals die mannigfaltigsten Grimassen. Die immer anregende und stets lustige Antje Landshoff-Ellermann konnte sich vor Lachen kaum halten. Diese kleine, stets erquicklich auftretende Frau mochte ich zu gerne. All die geistreichen Sätze, die in einem fort nur so aus ihr heraussprudelten, begeisterten mich immer wieder aufs Neue. Die Augen strahlen und ihr Herz ist voll Wärme.
Christoph Eschenbach beherrscht nicht nur ebenfalls viele Fremdsprachen, er kann auch Hamburger Missingsch sprechen. Einmal – es war ein Sonntagsvormittagskonzert, so erzählte er mir in besagtem Dialekt – kamen zusammen mit anderen Konzertbesuchern auch zwei ältere Hamburger Deerns in seine Garderobe, um ihm ihr Lob auszusprechen und um Autogramme zu bitten. Als die beiden gereiften Deerns zu diesem Behufe in ihren mit braunen Altersflecken übersäten, knöchernen Händen ihre Programmhefte hinhalten, fragt der Maestro, um irgendwie ein wenig Konversation zu machen: »Hat es Ihnen gefallen?« – »Oh, ja«, erwidert die eine, die einen hellbraunen Kamelhaarmantel nebst einem blauen Filzhut trägt, der schon stark abgegriffene und leicht speckige Ränder hat. »Es war wunderschön, aber ich finde, im Saal war eine schlechte Akustik.« Da sagt die andere schnell, mit einer verneinenden Kopfbewegung, so dass die selbst eingedrehten, stumpfen, gelb-grauen Locken hin und her wackeln: »Komisch, ich habe gar nix gerochen.«
Günter Wand – So und nicht anders
»So und nicht anders« war das Motto des großen Dirigenten Günter Wand, sein Prinzip, sein Ideal. Davon konnte ich mich an vielen Samstagvormittagen bei der Probe für das sonntägliche Mittagskonzert überzeugen. Stets wurde ich von ihm dazu eingeladen.
Oft saß ich nur mit zehn oder zwölf Leuten, darunter seine Frau Anita und einige andere Freunde, auf dem ersten Rang und hörte meist Bruckner, aber auch Beethoven oder Schubert. Ganz gleich, was es zu hören gab, es war für mich immer ein musikalisches Erlebnis, ein Ohrenschmaus ganz besonderer Art. Selten hat mich Musik so berührt wie bei einem Dirigat von Günter Wand. Nun muss man auch wissen, dass das Orchester des Norddeutschen Rundfunks, dem er vorstand, ohnehin schon ein erstklassiges Orchester ist.
Als Günter Wand von Köln nach Hamburg gerufen wurde, um die vakante Stelle als Chefdirigent des NDR-Sinfonieorchesters zu übernehmen, wohnte er die ersten Monate im Hotel Vier Jahreszeiten. Nach den Proben kam er viele Male mit seiner Frau zum Abendessen in den Grill. Wenn es Steinbutt gab, war die Welt für ihn in Ordnung. Jedenfalls die kulinarische Welt. Später, er war ja sechs Jahre in Hamburg, nahmen sie sich dann eine Wohnung.
Nach den Konzerten gab es stets ein Souper mit Freunden. Meist so zehn bis fünfzehn Gäste, die von den Wands eingeladen waren. Dabei galt es, ganz bestimmte Regeln zu befolgen. Auf Basis meiner Musikkenntnisse, die ich mir im Laufe meines Lebens sozusagen anerhört habe, entwickelte sich zwischen den Wands und mir eine, sagen wir mal, musikalische Verbindung. Es eine Freundschaft zu nennen, und wenn auch nur die sogenannte Gast-Kellner-Freundschaft, wäre allerdings übertrieben, wenn nicht gar vermessen.
Der Musikerberuf bringt bei vielen eine gewisse, vielleicht sogar natürliche Kapriziosität mit sich. Die kann sehr amüsant, aber auch ziemlich anstrengend sein. Im Fall von Günter Wand sorgte seine Frau Anita dafür, dass es nur selten anstrengend wurde. Sie war der Fels in der Brandung. Sie war es, die den ausbrechenden Vulkan bändigte, sein Feuer löschte.
Wie gesagt, es gab bei Günter Wand bestimmte Regeln, wie zum Beispiel, dass der Raum, in welchem soupiert wurde, entweder kühl oder sehr aufgeheizt sein musste. Um zu spüren, was am jeweiligen Abend jeweils richtig war, bedurfte es einer gewissen Portion Scharfsinn und Fingerspitzengefühl. Die gewünschte Raumtemperatur war dabei von der Außentemperatur völlig unabhängig, sondern unterlag allein der abendlichen Gemütsverfassung des Maestros.
Eines Abends, es gab, glaube ich mich zu erinnern, Bruckners Achte – zum fünfundzwanzigsten Mal. Es war Herbst. Kühle Oktobernacht. Die Fahrstuhltür öffnet sich, der Maestro erscheint. Groß, hager, die staksigen langen Beine, an den Knien leicht nach innen zeigend, schreiten kräftig aus. Es ist wenige Minuten vor
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