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Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)

Titel: Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolf Nährig
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Konzertbeginn. Hinterdrein Anita. Nachdem sie tagsüber einen braunen, etwas zu kurzen Lederrock getragen hat, von einem dunkleren, breiten Ledergürtel gehalten, hat sie fürs Konzert das »kleine Schwarze« angezogen, dazu eine schwarze Stoffmantille mit ebenso schwarzem Pelzbesatz, der ihr bereits weißblondes Haar noch heller wirken lässt. Zwischen Fahrstuhl und dem wartenden Wagen, der sie zum Konzertsaal bringt, sagt sie im Vorbeigehen: »Temperieren Sie den Raum heute gut warm.« Dabei presst sie immer wieder die Lippen aufeinander und pustet die Wangen etwas auf. »Es wird nach dem Konzert kalt sein.« Wie gewünscht, heize ich den Raum auf etwa 23 Grad auf. Das müsste reichen, denke ich.
    Nach dem Konzert. Die Gäste kommen an, wie immer stehe ich schon am Eingang, um sie grüßend in Empfang zu nehmen. Auch der Maestro begrüßt mich, kurz und knapp: »Alles in Ordnung im Raum?« – »Ja«, sage ich, »ich habe den Raum sehr schön warm gemacht«, und denke sogleich: Hoffentlich war jetzt auch richtig, was ich gemacht und gesagt habe.
    »Nein!«, ruft Maestro Wand etwas erregt. »Ich schwitze ja so schon genug.« Und zeigt mir seinen Schal, der, wo er am Nacken angelegen hat, vom aufgesogenen Schweiß dunkel ist. »Soll ich denn zerfließen?« Wie insgeheim befürchtet: Es war nicht richtig.
    Zu den Regeln gehörte auch, dass immer eiskalter Wodka bereitstehen musste. Der wird mich jetzt retten, denke ich. Tat er aber nicht. Grad heute sollte es schnell gehen, der Maestro war müde. Wollte schnell essen, trinken und ab ins Bett. »Wir nehmen keinen Wodka, gleich Rotwein und eine heiße Suppe«, erklärte seine Frau und presste erneut in kurzen Abständen die schmalen Lippen aufeinander. Zumindest Rotwein und Suppe waren richtig vorausgesehen. Man muss auch mal Glück haben.
    Die Gäste erheben sich. Langes Verabschiedungszeremoniell. Während ich dem Maestro in den Mantel helfe, ihm den Hut reiche, hält er kurz inne, schaut zwei Sekunden in die Leere und fragt in leicht vorwurfsvollem Ton: »Herr Nährig, warum haben wir heute keinen Wodka bekommen?« Ich habe Anita nicht in die Pfanne gehauen.
    Einige Monate später, es war schon Frühsommer. Warme, milde Luft. Die Abende lind und lau. Wieder Konzert. Wieder Bruckner. Wieder Souper. Angesichts der sommerlichen Temperaturen kühle ich den Raum, in dem das Essen serviert werden soll, instinktiv auf etwa 19 Grad herunter. Der Maestro soll ja nicht »zerfließen«. Alles bereit. Alles zum Besten gerichtet. Die Gäste können kommen. Wie üblich erwarte ich die Gesellschaft am Eingang.
    Einige der geladenen Konzertbesucher sind schon eingetroffen. »Oh«, sagen sie, »hier ist es angenehm kühl.« An der Drehtür erblicke ich den Maestro. Er strahlt, ist guter Laune, die Augen leuchten. Er streckt mir aus der Ferne seinen dünnen Arm entgegen, um mir dann im Näherkommen die ebenso dünne, schlanke Hand zu reichen. Eine Hand, die, wie ich oft beobachten konnte, beim Zeichen zum Einsatz für die hinteren Blasinstrumente von oben herabsauste wie ein Greifvogel, der sich auf sein Opfer stürzt. Günter Wand scheint mit sich und dem Verlauf des Konzerts glücklich. Zufrieden!
    Den unvermeidlichen Kaschmirschal im Näherkommen abnehmend stellt er seine übliche Frage: »Ist der Raum in Ordnung?« Die ich ebenso fröhlich bejahe, wie er gutlaunig fragte. Füge übermütig noch hinzu: »Habe ihn heute schön kühl gemacht!« (Dabei im Hinterkopf: »Soll ich zerfließen?« Gut geheizt ist nicht richtig. Schon gar nicht bei solch sommerlichem Wetter. Heute wird’s passen.) Da schaut er mich an, mit großen Augen, als wolle er einen Forteeinsatz geben, und ruft mit ebenso kräftigem Tonfall: »Ja, sind Sie verrückt geworden, soll ich mich nach dem Dirigat total erkälten und mir womöglich den Tod holen?«
    Heute passt es nun gar nicht. Ein Jammer. Erst hat mich die Sonne angelächelt und jetzt plötzlich Sturm und Braus. Ein solcher »Witterungsumschwung« bringt aber einen Kummer und Freud gewohnten, durch langjährige Erfahrung gedrillten Oberkellner nicht zu Fall.
    Am Ende war alles gut. Gutes Essen. Gutes Trinken und, wie ich am Geräuschpegel erkennen konnte, gute Gespräche. Einer der Gäste war nicht zu überhören, wie er dem Dirigenten immer wieder lautstark versichern wollte, welch wunderbares Konzert es heute wieder gewesen und was für ein wunderbarer Dirigent Günter Wand doch sei. »Ach«, flötete er in einem fort, »Herr Wand, wie haben Sie die

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