Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
Fall, wo die Sache dennoch nicht glatt gelaufen ist. Ein Lehrmädchen hatte in ihrem überströmenden Arbeitseifer gleich nach dem Platznehmen der Gäste Brot und gute deutsche Butter auf den Tisch gestellt. So, wie sie es gelernt hatte. Die Frau des Gastgebers indes durfte nur Margarine essen. Aus welchen Gründen auch immer.
Nun dachte sie, das am Tisch stehende Streichfett sei Margarine. Irgendwann beim Essen bemerkte sie den Irrtum. Oh, welch ein Malheur! »Ein jeder im Hotel sollte doch wissen, dass ich Butter nicht essen darf«, polterte sie los. Dabei hätte sie ja beim Platznehmen noch einmal darauf hinweisen und nachfragen können. Sie insistierte: »Die für diesen Fehler verantwortliche Person muss zur Rechenschaft gezogen werden.« Am Schluss folgte wieder einmal der sehr beliebte Satz: »Das darf doch in so einem Hotel nicht passieren!«
Ich würde sagen: »Man kann’s auch übertreiben.« Ein Hotel ist kein Krankenhaus.
Das kleine Zimmer
Ein mittelaltes Ehepaar asiatischer Herkunft ist zum ersten Mal im Hotel zu Gast. Beide sind landestypisch eher zierlich gebaut; der Herr etwa einen Meter sechzig, die Dame einen Meter fünfundfünfzig klein. Beide sprechen ein hervorragendes, akzentfreies Deutsch. Für Asiaten ungewöhnlich. Erfreulich! Sie haben ein einfaches Zimmer in der untersten Preiskategorie bestellt. So weit in Ordnung. Bitten bei der Ankunft jedoch um ein großes Zimmer zum gleichen niedrigen Preis. Das war nicht möglich. Es wird gefeilscht, bis der Arzt kommt. Die Rezeptionistin bleibt freundlich, aber standhaft. Mit unzufriedener Finstermiene nehmen sie ihr bestelltes kleines Zimmer. Es wären, zum adäquaten Preis, auch große Suiten frei gewesen.
Am frühen Abend kommen sie zum Essen in den Grill. Gleich zu Beginn klagt die Dame: »Wir möchten gern einen Tisch am Fenster, wenn wir schon so ein schlechtes Zimmer haben.« Während des ganzen Abends nimmt das Lamento kein Ende. Das Mahl war geendigt, die Dame sagt traurig: »Jetzt gehen wir wieder in unser Zimmer, es ist so klein, dass ich mir immer und überall den Kopf anstoße.« – Die Zimmerhöhe beträgt drei Meter vierzig.
Ich gab ihr den Tipp: »Ziehen Sie den Kopf doch ein.« Ich weiß bis heute nicht, ob sie meinen Rat beherzigte.
Die dumme Nijinsky-Frage
Ein Kellner muss wissbegierig alles in sich aufsaugen, darf aber nicht offen neugierig wirken. Jedenfalls darf er sich seine Neugierde dem Gast gegenüber nicht anmerken lassen oder gar beginnen, ihn ungefragt auszufragen.
Wann immer der geniale Choreograph und Ballettintendant des Hamburger Balletts, Professor John Neumeier, über sein Sekretariat einen Tisch für ein Souper im Anschluss an eine seiner Vorstellungen bestellen ließ, war es mir eine angenehme Pflicht, dafür zu sorgen, dass frische Seezungen im Hause waren, seine Lieblingsspeise. »Es gibt diesen wunderbaren Fisch nirgendwo besser als bei Ihnen«, pflegte er zu sagen. Gut, dass ich darauf geachtet hatte, genügend vorrätig zu halten.
In solchen scheinbaren Kleinigkeiten zeigt sich, wie sehr es für einen Oberkellner von Vorteil ist, wenn er viel weiß. Je mehr er erfährt und sich in sein hoffentlich gutes Gedächtnis einprägt, umso besser. Es erleichtert ungemein seinen Umgang mit den allzu verschiedenen Charakteren der Gäste. Um sich dieses möglichst umfangreiche Wissen anzueignen, sollte man stets gut zuhören und das Erfahrene speichern. Selbst etwas zu erfragen kann dagegen leicht schiefgehen. Auch wenn man meint, diesen oder jenen Gast gut zu kennen, ist es doch besser, die Zunge im Zaum zu halten und die Trense anzulegen.
Aus vielen Zeitungsberichten hatte ich erfahren, dass Herrn Neumeier für seine einmalige Nijinsky-Sammlung von der Stadt ein Haus zur Verfügung gestellt werden sollte, damit darin ein Nijinsky-Museum eingerichtet werden konnte. Doch es wollte und wollte keine Einigung geben. Wieder einmal eines dieser unendlichen Politikdramen voller Gezerre und ewigem Hin-und-her-Geschiebe. Die Sache zog sich hin, und es fand sich einfach keine allseits akzeptable Lösung. Alles war sehr ärgerlich.
Bei einem Besuch des Meisters fragte ich – was ein Fehler war –, ob er nun sein Museumshaus bald beziehen könne. Da schaute er mich finster an, verdrehte die Augen, und ich wusste, diese Frage war nicht gut platziert. Ein Lapsus. Um zu retten, was zu retten war, und mich gleichzeitig für meine Ungeschicklichkeit zu entschuldigen, sagte ich: »Das war eine dumme Frage.« Worauf er, ganz
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