Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
sogar beim Hummer feiert der Kartoffelsalat seine Triumphe. Statt einer Beschwerde hat sie mir für unsere Bringschuld sogar noch ein indirektes Kompliment gemacht. Worauf ihr Ehemann spontan ergänzt: »Nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch beim Essen entscheidet der Bauch mit.«
Wohl wahr!
Was ist aus unserer Welt geworden!
Eine Begegnung aus dem Jahre 1988. »Wir kommen soeben mit dem Wagen aus Düsseldorf«, sagt der Herr mit leicht verärgertem Tonfall, »und wissen nicht, wo wir den Wagen parken sollen. Man hat uns in die Garage geschickt.« Der Ton wird noch abfälliger. »Und das in Ihrem Haus.« (Ein in seinen verschiedenen Variationen seit jeher sehr beliebter Spruch.) »Als ich 1952 mit meinen Eltern im Adenauer-Mercedes vorgefahren kam, hat uns der Wagenmeister gleich empfangen und die Tür aufgemacht. Damals waren vielleicht zwei oder höchstens drei Autos vor dem Eingang«, dabei schüttelt er immer wieder den Kopf von links nach rechts und wieder zurück. »Was ist aus diesem Hotel geworden, was ist aus unserer Welt geworden!«
Die ausnehmend elegante Dame stand die ganze Zeit daneben und sagte kein Wort. Sie wusste warum. Sie kannte ihren Göttergatten.
Wo bleibt die christliche Nächstenliebe?
Die mir sehr lieb gewordene Frau Sideritz ist in hohem Alter verstorben. Der Herrgott hat es gut mit ihr gemeint und ihr ein Siechtum erspart. Der »Leichenschmaus« nach der Beerdigung sollte im Hotel Vier Jahreszeiten stattfinden. Es waren nur einige Freunde und Bekannte versammelt, insgesamt vielleicht fünfzig Personen und darunter ein Priester oder sogar zwei. Die Damen mit schwarzen Hüten, großen Sonnenbrillen von Dior und schwarzen Chanel-Kleidern. Die Herren im Cut oder Anzug. Eine elegante Trauermodenschau. Es werden Champagnergläser verteilt, auf die Verstorbene wird angestoßen, als wär’s ein Geburtstag. Nach Schaumwein und Smalltalk wird die heiße Suppe gebracht und das Büffet eröffnet.
Unglücklicherweise, es war Winter, fielen an dem bewussten Tag zwei Mitarbeiter wegen einer Grippeerkrankung aus. Es war so kurzfristig kein Ersatz zu finden, und der Service, muss man eingestehen, war leider nicht so flott wie gewohnt. Das Nachreichen der Speisen dauerte zu lange, dann gab es nicht schnell genug heiße Teller, und die Champagnergläser wurden bei dem einen oder anderen Gast nicht rasch genug nachgefüllt. All diese Missstände waren dem verantwortlichen Oberkellner bekannt und er entschuldigte sich bei den Gastgebern in aller Form.
Tage später kommen mündliche Beschwerden und eine Reklamation vom eingeladenen Pfarrer. Er erzählte mir, ganz traurig, wie schlecht das Essen und der Service doch gewesen seien. Von der Toten erzählte er nichts. Sogar Gäste, die gar nicht dabei waren und nur über dritte von dem Geschehnis gehört hatten, drückten ihr Beileid über die nachlässige Bedienung aus. Da fragt man sich doch: Wo bleibt die christliche Nächstenliebe? Vielleicht ist dergleichen in den elitären Kreisen ja nicht mehr en vogue? Worum, um wen, ging es denn bei diesem allerletzten Mahl? Was ist den Hinterbliebenen wichtig? Was zählt am Ende?
Die gute Verstorbene ist längst vergessen, vom schlechten Essen und mangelhaften Service reden sie immer noch. Unter der Reklamation habe ich nicht gelitten, unter der verlorengegangenen Moral sehr.
Akustische Umweltverschmutzung
Auch der Kellner hätte im Übrigen oft alle Ursache, umgekehrt beim Gast zu »reklamieren«; was er aus gutem Grund in den allermeisten Fällen unterlässt. Auch im Auftreten und Erscheinungsbild des Gastes werden bisweilen Unsitten an den Tag gelegt, die eigentlich »in so einem Hotel nicht passieren« dürften. Bisweilen muss man ihn in aller Höflichkeit darauf hinweisen.
So sind mobile Telefone eine ungemein praktische Erfindung. Eine Erfindung indes, die anderen schnell zur Last werden kann. Besonders dann, wenn sechs weibliche Wesen das vollbesetzte Restaurant betreten, aufgebrezelt, dass das Auge schmerzt, und jede dieser »Damen«, ein Handy in der rechten Hand und ein zweites in der ans Ohr gedrückten Linken, ohne Punkt und ohne Komma ihre slawische Sprache in hoher Phonzahl in den kleinen buntglitzernden Apparatus hineinbrüllt. Was soll ein Oberkellner in dieser Situation tun? Es sind schließlich Hotelgäste, die ein teures Zimmer gebucht und schon im Voraus bezahlt haben. Hier bin ich mit meinem Latein am Ende. Die kultivierteren Gäste drehen sich schon um und schauen mich fragend an: »Jetzt
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