Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
müssen Sie handeln«, lese ich in ihren Blicken.
Der Herr hat mein Stoßgebet erhört. Er schickt mir Hoteldirektor Ingo Peters, der erstaunt fragt: »Was ist da los?« Ich zeige wortlos auf die sechs weiblichen Wesen. Er hat heute Abend mehr Schneid als ich. Er geht zu ihnen hin, sagt auf Deutsch: »Gestatten?«, nimmt die etwa zehn bis zwölf Handys und überreicht sie mir mit den Worten: »Die verwahren Sie in Ihrer Schublade, und wenn die Damen gehen, dann händigen Sie die Geräte wieder aus.«
Die Damen aßen, tranken, zahlten, bedankten sich für die wiederbekommenen Handys und verließen lächelnd das Restaurant. Na also. Es geht doch.
Dennoch: Der Fortschritt ist manchmal auch ein Schritt fort vom Guten!
Kleidersünden
Auch Baseballkappen können etwas Schönes sein – auf dem Golfplatz oder im offenen Sportwagen. In einem Luxusrestaurant sind sie leider total fehl am Platz oder vielmehr Kopf. Es kostete mir immer Mühe, die Herren zu bitten, diese Mütze abzunehmen. Dabei musste ich noch zu verstehen geben, dass ich die Kopfbedeckung im Grunde ja sehr hübsch fände, um meiner Devise, den Gast nie zu brüskieren, gerecht zu werden. Tatsächlich fand ich diese Kappen scheußlich. Als Kellner war ich es gewohnt, mich in vielerlei Hinsicht zu verbiegen, doch bei modischen kurzen Hosen, T-Shirts und Flip-Flops gelangten meine Verbiegungskünste an ihre Grenzen. Da wendet sich der Kellner mit Grausen.
Ein mittelalter Mann hielt mir einmal vor, ich solle doch erst einmal auf das Label schauen – womöglich am Innensaum? –, mich vergewissern, von wem seine kurze Hose entworfen sei und dann meine Entscheidung treffen, ob er das Restaurant nun in diesem Aufzug konsultieren dürfe oder nicht. Daraufhin zeigte er süffisant auf ein kleines schwarzes rechteckiges Stoffstück, auf dem formatfüllend der Schriftzug »Prada« prangte. Als ob das seine kalkweißen, spiddeligen Borstenbeine attraktiver machen würde.
Der Rucksack durfte bei derartig Ausgestatteten auch nicht fehlen, er gehört zur »Ausrüstung«. Eine Beleidigung für jedes empfindliche Auge. Grenzwertiges. Wenn diese Leute dann um den schönsten Platz im Restaurant baten, habe ich sie um ihr Selbstbewusstsein beneidet.
All diese Kleidersünden scheinen sich leider zu mehren, und oft hat man das Gefühl, dass hier jedes Bewusstsein für Korrektheit und Ordentlichkeit im Schwinden begriffen ist, gerade in den Kreisen der nouveau riche . Überhaupt habe ich bei Gesprächen mit sogenannten Wohlhabenden schon viele Male festgestellt, dass ihre Gedankengänge sich in nichts von denen der Menschen aus jeder anderen Schicht unterscheiden. Oftmals – und in den letzten Jahren immer mehr – habe ich sogar jegliche Art von Bildung vermisst, was sich längst nicht nur in der Kleidung äußerte. Wie haben sie es bloß gemacht, denke ich mir dann, mit so wenig Grips im Kopf ein derartiges Vermögen zu schaffen?
Wesen und Nutzen der Beschwerde
Reklamation: »Herr Ober, der Fisch schmeckt nicht.« Um die Reklamation richtig behandeln und dem Küchenchef sagen zu können, was etwa fehlt oder zu viel ist, bitte ich den Gast, seine Beschwerde konkret zu machen, mir zu sagen, was es mit dem festgestellten Mangel genau auf sich habe.
»Kann ich nicht sagen, der Fisch schmeckt nach gar nichts.« Darauf meine Frage: »Nicht einmal nach Fisch?« Da musste er selbst lachen.
Beschwerden sind für Dienstleister immer eine Chance, die man nutzen sollte. Nutzen muss. Man sollte nur genau unterscheiden, ob es sich um echte, berechtigte Beschwerden handelt oder um kleine gewiefte Schlitzohrigkeiten.
Bei den berechtigten Reklamationen bedarf es einer schnellen und ausreichenden Wiedergutmachung. Diese Beschwerden waren mir immer ein Anliegen. Da konnte ich zeigen und beweisen, wie wichtig mir der Gast ist. In den meisten Fällen ist es mir gelungen, den Gast zu überzeugen und Restaurant und Hotel von seiner besten Seite zu präsentieren. Der Beschwerdegast ist sehr oft ein Stammgast geworden. Das zu erreichen war immer mein Ziel. Nicht so gerne mochte ich diejenigen Beschwerden, die erst nach Tagen oder gar Wochen geltend gemacht wurden. Das waren oftmals unberechtigte Beschwerden. Zu einem so späten Zeitpunkt ist es sehr schwierig, alles noch genau zu prüfen und nachzuvollziehen, besonders wenn es sich dabei um Speisen, also Vergängliches, handelt.
Das Computerzeitalter ist zugleich ein Goldenes Zeitalter für Reklamanten. Man setzt sich vor den Bildschirm und
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