Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
ungewöhnlich für diesen mit besten Manieren ausgestatteten Mann, antwortete: »Ja.«
Es folgte eine sinnende Kunstpause. Jetzt schon mit Milde in der sanften, wohlklingenden Stimme, aus der man erst bei genauem Hinhören die Färbung seiner amerikanischen Muttersprache heraushören kann, setzte er schließlich hinzu: »Ziemlich dumm.«
Es war mir eine Lehre! Ein Kellner tut bisweilen gut, sich mit Fragen zurückzuhalten, deren Antworten nicht auf der Speisekarte zu finden sind. Besonders, wo es sich um womöglich Unangenehmes handelt.
Hummer mit Kartoffelsalat
Neben meinem Lesesessel liegt das Buch Werte von Peter Prange. Ich habe es vor einigen Jahren von Michael Behrendt, dem Vorstandsvorsitzenden des großen Hamburger Transportunternehmens Hapag-Lloyd, zu Weihnachten geschenkt bekommen. Titel und Inhalt des Buches könnten »buchstäblich« für ihn selbst stehen. Sicher kein Zufall.
Ein ehrliches, freundliches Lachen beim Betreten des Grills war mir sicher. Kein Verstecken hinter dem Schild der Macht. Ruhig, ausgeglichen, nie kapriziös. Keine spitzen Ellbogen. Das Gleiche gilt nicht minder für Frau Behrendt. Ihre Herzlichkeit ist ansteckend. Wenn diese zierliche Person ihre Augen glänzen und strahlen lässt, wärmt es einem das Herz. Jedes Wort ist so gemeint wie gesagt, kein Funken aufgesetzt Gunstheischendes dazwischen.
Eine Episode werde ich nie vergessen. Es war in der Adventszeit. Die meisten Tische lange vorbestellt. Auch das Sekretariat von Hapag-Lloyd hatte Wochen zuvor einen Tisch reserviert. Michael Behrendt hatte wichtige Gäste, und der Abend sollte so sein, wie man es im Hotel Vier Jahreszeiten erwartet: Er sollte gelingen. Just am besagten Tag hatte ich frei. Meine Mitarbeiter waren, wie stets, entsprechend »gebrieft«.
Es nutzte nichts. Alles, was nur falsch gemacht werden konnte, wurde falsch gemacht. Ich will hier besser nicht in die Details gehen. Keine Frage: Es war eine dicke, berechtigte Beschwerde fällig. Ich wartete einen Tag, wartete zwei Tage, hörte nichts. Kein Anruf, kein Brief, keine Reklamation. Die Sache ließ mich nicht ruhen, und so rief ich unter einem nichtigen Vorwand im Sekretariat an und konnte mit Herrn Behrendt persönlich sprechen. Erst jetzt erzählte er mir von dem ganz und gar misslungenen Abend. Ich musste ihn quasi erst darum bitten, mir den Vorfall zu schildern. Dabei wäre es für ihn ein Leichtes gewesen, bei unserer Geschäftsleitung anzurufen. Dann wäre ein Ruck durch das Haus gegangen, und es hätte wohl ernste Konsequenzen gegeben. Doch er trug nicht nach, und diese noble Geste, dieses Über-den-Dingen-Stehen, den Vertrauensbeweis mir gegenüber habe ich Herrn Behrendt nie vergessen. Dafür hat er bei meinen Liederabenden immer in der ersten Reihe gesessen. Mein kleiner, bescheidener Dank!
Mit Schmunzeln erinnere ich mich an ein kleines Souper des Ehepaars Behrendt nach einem Opernbesuch. Es sollte nicht viel sein, lediglich ein Gaumenkitzler. »Ein halber Hummer«, sagte Herr Behrendt, »wäre genau das Richtige, mehr nicht.« Seine Frau ergänzte mit einem leisen Lächeln und einer resignierenden Handbewegung, die Wehrlosigkeit andeutete: »Mitgefangen, mitgehangen – ich nehme das Gleiche.« Ein Gläschen Wein dazu, und das sollte genug sein. Nach kurzer Zeit werden die Hummerhälften von einem meiner Mitarbeiter serviert, und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass die Portionen an diesem Abend womöglich allzu klein geraten sind. Sofort ein Gang in die Küche, um Supplement zu ordern, aber die beiden letzten vorrätigen Krustentiere waren soeben aufgetragen worden. Schalentiere, belehrt mich Küchenchef Simon Stirnal, immer die Qualitätskontrolle im Fokus, werden nur am Tag der Zubereitung serviert, also nie zu viel einkaufen und kochen.
Schuldbewusst scharwenzele ich um den Tisch herum, um zu sehen, »wie die Lage ist«. Behrendts nicken dankend, signalisieren Zufriedenheit. Das macht mich noch unsicherer. Hatte ich doch noch gut in Erinnerung, dass bei ihnen Beschwerden mitunter erst »herausgekitzelt« werden müssen. In gelinder Verzweiflung begebe ich mich erneut in die Küche und sehe den Küchenjungen Kartoffelsalat zubereiten. Eine Blitzidee (eher eine Seltenheit bei mir): »Bitte gib mir zwei Portionen von diesem wunderbar frischen Salat.« Pfeffer drauf und hin zu den Gästen. Frau Behrendt sieht den Kartoffelsalat, die Augen leuchten und sie ruft begeistert: »Genau das Gleiche hätte ich zu Hause jetzt auch gemacht.«
Siehe da –
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