Gern hab ich Sie bedient: Aufzeichnungen des Oberkellners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg (German Edition)
zu halten und später nachzulegen. So auch bei Schmidts. Die erste Portion war aufgegessen, ich lege den Rest der Speisen auf einen neuen heißen Teller und serviere diesen.
Wie eingangs erwähnt essen Schmidts viele Kartoffeln. Schon während des Auflegens bittet Herr Schmidt um mehr Kartoffeln. In der Silberschale sind keine mehr. Das bedeutet, ich muss in die Küche, um neue zu bestellen. Das braucht Zeit. In dieser Zeit würden die schon angerichteten Speisen auf dem Teller erkalten.
In diesem Moment sah ich meine Rettung. Einige Tische von Schmidts entfernt waren die Gäste mit dem Essen zu Ende. Alles aufgegessen, bis auf die Kartoffeln, welche noch auf dem Rechaud standen und heiß waren. Blitzschnell nahm ich die noch unberührte Silberschale, ging auf Umwegen, so dass man meinen könnte, ich komme aus der Küche, zu Schmidts Tisch und servierte die dampfenden Kartoffeln. Der Gast freute sich, dass es so schnell ging, und dankte mit einem Lächeln. Gott sei Dank, dachte ich, er hat meinen Schelmenstreich nicht bemerkt. Noch mal gut gegangen.
Zum Abschluss des Mittagsmahls gab es noch Dessert und Kaffee. Als die Schmidts dann gezahlt hatten und das Restaurant verließen, bedankte ich mich recht herzlich für den Besuch und tat kund, mich schon jetzt auf den nächsten zu freuen.
»Wir danken Ihnen , Herr Nährig, recht herzlich.« Dann beugt Herr Schmidt sich zu mir herunter – 1,96 Meter groß, schlank und weißes fliegendes Haar, als wäre ihm der Fön explodiert – und flüstert mir ins Ohr: »Und wenn wieder einmal irgendwo Kartoffeln übrig bleiben – wir nehmen sie gerne.«
Von jenem Tag an waren wir Freunde und hatten immer einen gemeinsamen running gag .
Das darf doch in so einem Hotel nicht passieren!
So gibt’s viel gute Mensch’n, aber grundschlechte Leut’.
Johann Nepomuk Nestroy
Kellnernöte
Es ist nicht immer einfach, in meinem Beruf und mit meinem Klientel alle Gäste restlos zufriedenzustellen. Wenn es so einfach wäre, dann könnte es ja jeder machen. Dann bedürfte es keiner langen Lehrzeit, und wer seine Sache einigermaßen gut machen will, müsste nicht über derart viel Fingerspitzengefühl verfügen. Und so gibt es, wie in jedem Beruf, auch in dem meinigen nicht nur freudige Momente und erhebende Augenblicke, sondern ab und zu auch Leidvolles zu erleben. Die versalzene Suppe sozusagen. Manchmal die bittere Pille.
Schon allein da das Hotel Vier Jahreszeiten den schönsten Platz in der ganzen Stadt einnimmt, direkt an der Binnenalster, der »guten Stube« Hamburgs, gibt es ein ewiges Gerangel um die Tische am Fenster. Jeder will einen Tisch mit Blick aufs Wasser. Besonders dann, wenn er einem Gast von außerhalb die Stadt präsentieren will. Kann ich auch gut verstehen.
Da es aber nur vier Tische direkt am Fenster gibt, ist es nicht immer leicht, sie richtig zu verteilen. Am einfachsten und richtigsten ist es wohl, die Fenstertische nach dem Zeitpunkt der Bestellung zuzuteilen. Was aber mache ich, wenn der Kaiser von China kommt? Und ob man es glauben will oder nicht, es gibt auf dieser Welt nun mal mehr chinesische Kaiser, als man wahrhaben möchte. Die Zeile: »Wissen Sie nicht, wer ich bin?«, hört man in der Gastronomie öfter als in jedem anderen Dienstleistungsunternehmen. Dadurch ergeben sich immer wieder schwerwiegende Oberkellnernöte. Wie kann ich auch im Problemfall meine Kellneraufgabe am besten bewerkstelligen, so dass jeder Gast mit mir und der Welt zufrieden ist?
Am schwierigsten war es oft, wenn Gäste einen Tisch am Fenster wollten, dieser auch zugesagt wurde, und dann kommen sie spät oder gar nicht. Verständlicherweise ist dann jeder Gast, der auch einen Fenstertisch wollte, ihn nun aber nicht bekam, beleidigt. Mit Recht.
Manche behelfen sich oft mit einer kleinen List, indem sie einen Tisch auf den Namen einer bekannten Persönlichkeit bestellen, etwa eines Schauspielers oder Politikers. Sie meinen, dann bevorzugt behandelt zu werden – jedenfalls bei der Wahl des Tisches. Ich glaube, ich habe mich in diesem Fall eher selten bis gar nicht beeindrucken lassen. Sehr beliebt war auch: »Wir haben einen Tisch am Fenster bestellt!« Auch wenn dem gar nicht so war. Ja, was nun machen? Wenn der Gast verliert, hat automatisch auch der Kellner verloren. Ein gastronomisches Gesetz. Und nicht vergessen: Der Gast hat immer recht!
Die folgende Episode ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Vier sehr aufgeräumte Damen, Juristinnen, betreten das ausgebuchte
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