Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Fanfare.
In der Weinhandlung Montagnani
in Gaiole in Chianti
Größtes Glück geschulter Geister
Ist, in einem Weinland leben.
Wer gern Wein trinkt, den berauscht schon
Das Versprechen praller Reben -
Wieviel mehr der holde Anblick
Aufgereihter voller Flaschen:
Kann ich nicht aus allen trinken,
Will ich doch von vielen naschen.
Zweierlei Fischer
Spiegelglatter See. Zwei Fischer
Rudern schwatzend in die Helle.
Dichter sitzt im Uferschatten
Und tritt schweigend auf der Stelle.
Die und ich: Wir beide angeln,
Wenn auch an verschiednen Orten.
Die auf sichrem See nach Fischen,
Ich auf schwankem Grund nach Worten.
Mittagsimbiss vor der
Taverna del Pescatore
Säh' ein Bürger unsern Dichter,
Seine Nase tät' er rümpfen:
Dieser Rucksack voller Kerschel,
Die Sandalen sonder Strümpfen!
Dichter greift derweil zum Rotwein.
Als gelehr'ger Schüler Hatems
Trinkt und schreibt er leichten Hemdes,
Kurzer Hos' und langen Atems.
Am See
Mittagsstunde. Sommerfriede.
Seelenruhe. Märchenwetter.
Alles schweigt, und nun verstummen
Selbst die Silberpappelblätter.
Fast zu unbewegt dies Inbild.
Dieser Inbegriff zu leise.
Wärn da nicht der Sprung des Fisches
Und des Wassers leichte Kreise.
Beim Anblick der Putenfarm
auf dem abendlichen Chiantikamm
Gegenlicht – verquerer Ausdruck!
Wer wollt' ernstlich gegen Licht sein?
Licht allein macht Umwelt sichtbar,
Wo kein Licht ist, da ist Nichtsein.
Gegenlicht – bist dieser Unwelt
Angemessenste Belichtung:
Häßliches verschmilzt mit Schönem,
Schaut das Aug' in Sonnenrichtung.
28. September
9 Uhr morgens: 18 90 % 1026
Forschend blick ich jeden Morgen
Auf den Drillings-Wettermesser.
Daß das Wetter gut ist, spür ich,
Doch dank Messer weiß ich's besser:
Der schwärmt nicht vom schönen Wetter,
Sondern referiert das wahre.
Grade und Prozente: Sehr schön.
Wunderschön: Die Millibare.
Dunstiger Morgen 9 Uhr 30
Fort die Felder, fort die Häuser,
Hügel, Berge, wie sie heißen.
Landschaft, anfangs scherenschnittig,
Endet aufgelöst im Gleißen.
Lerne du, im Unsichtbaren
Schein zu sehn, nicht Sein zu missen.
Vor dem Nichts hilft nur der Glauben.
Vor dem Dunst genügt das Wissen.
Morgendliche Fallen
Brombeerranken, eingesponnen,
Spinnennetze, taubedeckte,
Todesfallen, silberschöne,
Todesboten, aufgeschreckte:
Fürchtet nicht, mein fester Stecken
Werde euer Werk verletzen!
Bin ja selber eingesponnen,
Zapple selbst in festern Netzen.
Trotz
Seufzend blickt der Dichter aufwärts,
Träumt vom Nebel, sehnt sich Wolken:
»Diesen ewigblauen Himmel
Hab ich weidlich ausgemolken«,
Denkt er schnöde. Doch nicht lange,
Und es regt sich sein Gewissen:
»Wie werd ich dich, lieber Himmel,
Im Novembergrau vermissen!«
Lob der Achtundzwanzig
Ich war immer schwach im Rechnen,
Machte mir nie viel aus Zahlen,
Doch die holde »Achtundzwanzig«
Könnt' ich glatt auf Wände malen.
Wer's zu deuten weiß, der deute!
Weil ich selber gerne wüßte,
Warum mich von allen Ziffern
Grad die »Achtundzwanzig« küßte.
Begegnung in Gaiole in Chianti
Schwarzer Kater, bernsteinäugig,
Geht der Holden um die Beine:
»Na, wo drückt uns denn das Herzchen?
Brauchst du etwa Hilfe, Kleine?«
Und empfiehlt sich stracker Rute
Als allwissender Berater.
Da wär' Holde gerne Katze,
Ihr Begleiter gerne Kater.
Neue Tankstelle vor Radda in Chianti
Ach, dem Schönen zu genügen
Ist dem Menschen nicht gegeben!
Immerwährend scheint das Schöne,
Jäh erlischt des Menschen Leben.
Grund genug, um im Beschränkten
Wilde Rachsucht zu entfachen:
Muß ich auch vom Schönen scheiden,
Kann ich's vorher häßlich machen.
Mittagessen in der Taverna
del Pescatore
Schwere Vorhänge verdunkeln
Das Gewölb des langen Saales,
Um so strahlender erscheint uns
Trinität des Mittagsmahles:
Dio, Santo Spirito
Eins in Gesù Cristo Namen -
Vino, Penne ai funghi
Und Arrosto misto. Amen.
29. September
MOrgenstimmung 9 Uhr 30
Dichter ist bestellt zum Rühmen.
Dichter darf von Herzen hassen.
Doch vor allem Mittelmaße
Muß des Dichters Leier passen.
Dieses Nichtlicht sonder Schatten,
Diese Nichtsicht ohne Ende
Sprechen leider für sich selber:
Reglos ruhn des Dichters Hände.
Er ruft sich zur Ordnung
Was verlangst du von der Sonne?
Daß sie ständig sieghaft strahle?
Dir vom Morgen bis zum Abend
Rastlos Bild für Bildchen male?
Wofür hältst du dich denn, Dichter?
Wie es heut ist, war's seit jeher:
Erst durch seine
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