Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Niederlagen
Kommt ein Stern uns menschlich näher.
Dichter und Vogel
Dichter sieht sich gern als Adler,
Falke, Habicht oder Geier.
Dichter ist in Wahrheit Glucke,
Legt voll Umsicht seine Eier,
Brütet, bis was schlüpft, und achtet
Aufgeregt auf seine Küchlein,
Daß ihm auch nicht eines fehle
Im Gehege alias »Büchlein«.
Versucher zum Ersten
»Dichter, warum schreibst du ständig?«
»Weil ich ständig was erlebe.«
»Wer stets schreibt, kann nichts erleben.«
»Er nun wieder! Teufel, hebe
Dich hinfort, alter Versucher.
Wer so spricht, ist schon gerichtet
Und erlebt zu seiner Schande,
Daß ihn Dichtermund bedichtet.«
Lob des Lebens
Dichter und Propheten priesen's,
Und sie hatten ja so recht:
Wie ihr es auch nehmt, das Leben,
Immer, immer ist es gut.
So hinan denn! Hoch und höher!
Folgt nur treulich eurem Herz,
Bis am ewigschönen Ziele
Euch erwarten Lust und Freud.
Die Erziehung der Olive
Beispielhaft: Olivenbäumchen,
Schlanken Stammes, pfahlgestützt,
Rings indessen um die Krone
Durch das Rund des Reifs geschützt:
Also strebt es in die Höhe
Und verliert sich nicht im Breiten.
So will ich den Rest der Tage
Höher und nicht breiter schreiten.
Abendruhe
Feuchte Luft des frühen Abends.
Blaue Stunde. Es ermatten
Hund und Holde, Katz und Dichter,
Blatt und Vogel, Licht und Schatten.
Sonne sinkt, doch zieht kein Mond auf.
Wolkenbank löscht Sterngefunkel.
Was sich träg zur Ruhe legte:
Alles, alles eint das Dunkel.
30. September
Schlaflos um 2 Uhr 30
Droht der Pegel meines Glückes
Ungebührlich anzuschwellen,
Sorgt für Senkung zuverlässig
Nahen Hundes stetes Bellen.
Denn mit jedem Kläffen kündet
Der Verdammte von uns beiden:
Es gibt Zwinger, es gibt Kette,
Es gibt Unglück, es gibt Leiden.
Schlaflos um 4 Uhr 30
Tiefe Nacht. Als ich dabei bin,
Klamm und heimlich einzunicken,
Dringt ins Dämmer meines Halbschlafs
Stramm und deutlich Holzwurmticken.
Uhrenmäßiges Geticke -
Man verzeiht es diesen Schlingeln,
Sofern sie sich unterstehen,
Auch nach Weckerart zu klingeln.
Ja und Amen 9 Uhr 30
Tritt der Tag gewohnter Glorie
An, sich für das Licht zu schlagen,
Kann ich goldgefaßter Mensch nur
Dankbar Ja und Amen sagen:
Ja zur Leinwand, ja zur Zeichnung,
Ja zur Farbe, ja zum Rahmen,
Ja zum Inhalt des Gemäldes
Und zu seiner Hängung: Amen.
Trauriger Dichter
»Dichter, angesichts des Schönen
Seufzt du. Woher mag das rühren?«
»Daß ich stets nach Worten suche,
Statt den Zeichenstift zu führen.«
»Auch in Worten kann man bilden.
Auch das Wort wehrt dem Vergehen.«
»Worte halten nicht Gestalt fest.
Ein Gedicht kann man nicht sehen.«
Lob des Ergriffenseins
Wenn dich was ergreifen will,
Lasse dich ergreifen.
Cool sein ziemt dem jungen Mann,
Ergriffensein dem reifen.
Ruft dich jemand zur Vernunft,
Ist auf ihn gepfiffen:
Du hast ja nicht hingelangt -
Es hat dich ergriffen.
Talwärts nach Montevarchi
Siehst in tausendfachem Glitzern
Du das liebe Licht zerstäuben,
Wirst dich nicht bei soviel Klarheit
Gegen reine Einsicht sträuben:
Unansehnlich Wort, Parole,
Losung, These, Slogan, Meinung
Vor dem einleuchtenden Dasein
Lichtgemodelter Erscheinung.
Bergwärts nach Gaiole in Chianti
Steuerst deinen Wagen bergwärts,
Talher durch Septemberstrahlung,
Und willst diesen Kick noch steigern?
Wähle Mozartuntermalung!
Sehr gut kommt der »Don Giovanni«.
Wirf ihn ein, gib Gas: Avanti!
Fährt der lover in die Hölle,
Fährst du auf zum Kamm des Chianti.
Vorschlag zur Güte
Übers Häßliche zu reden,
Meint nicht: Von dem Schönen schweigen.
Leuchtet ein? Dann darf ich füglich
Der Medaille Kehrseit' zeigen:
Wer vom Schönen redet, schweigt nicht
Von dem Häßlichen. Drum laßt mich
Schönes finden, Schönes rühmen,
Und wem das nicht paßt, der haßt mich.
Versucher zum Zweiten
Sprach da wer von »Privilegien«?
Will der Vorwurf nie verstummen?
Nein? Dann halte ich dagegen:
Jeder darf sich hier vermummen.
Aus dem Fundus der Geschichte
Kann er sich die Rolle wählen,
Die ihm zusagt, und qua Maske
Ungeschminkt drauflos erzählen.
Störung
Denk, wie diese Landschaft einstmals
Vielfach von Geräuschen schallte,
Wie das Muhen, Grunzen, Wiehern
Von den Hängen widerhallte -
Nein, ich will vom Ruf des Hahns nicht,
Nicht vom Schrei des Esels schwärmen.
Doch das waren noch Geräusche.
Was da heute tönt, ist Lärmen.
Von den Wölfen
Ach, wie wehrlos ist das Schöne!
Wie der Wolf sich naht den
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