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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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mehr.
    Grunz!
    Er hat sie in den Mund gefickt…
    Schluchz!
    Volmerswerther-Strasse-Blues
ODER
ein Abgesang auf die neunziger Jahre
    Das, was ich heute sah,
    an der Schwelle zum neuen Jahrtausend,
    das spottet jeder Beschreibung,
    auch meiner.
    Was meinst du damit, mein blauäugiger Greis?
    Was hast du gesehn, mein Liebling so alt?
    Ich sah eine Straße in Düsseldorf-Bilk,
    sie nennt sich Volmerswerther Straße.
    Ich ging sie entlang mit prüfendem Schritt,
    zuviel Auswurf, dem es auszuweichen galt.
    Ich war auf dem Weg zum Schnellrestaurant
    »Alibaba« alias »Muhammadi«.
    Ich zögerte vor dem betagten Schaukasten
    des »DFK Sparta e.V.«.
    Ich beschleunigte meinen Gang, da wurde
    ich jenes Hauses gewahr voller Botschaft.
    Was sahst du denn, mein dünnhaariger Greis?
    Was stand denn da, mein Herzblatt so alt?
    Da stand auf einem weißleuchtenden Schild
    »Unternehmensgruppe Profildesign«.
    Da stand auf anderem Schild die Botschaft,
    hier sei zu Haus »Floreales Wohnen«.
    Da stand in großen Goldbuchstaben
    »Leon Visage« auf der Schaufensterscheibe.
    Da war aber nichts im Fenster zu sehen,
    hinterm schmutzigen Glas mit der goldenen Schrift,
    da dunkelbraune Plastikfolie
    jeglichem Blick ins Innere wehrte.
    Was stand da noch, mein mitteilsamer Greis?
    Was lasest du noch, mein Goldstück so alt?
    Es stand unter »Leon Visage« das Versprechen:
    »Home & History im Hof«.
    Es folgten ferner die folgenden Worte
    einander. Erstens »Parkplätze«.
    Es lockte zweitens die schwüle Versuchung
    »Mediterrane Duftkerzen«.
    Es endete drittens mit der Verheißung
    »Deco-Fenster« – da spürt ich: Das ist es!
    Es faßte ein Sehnen mein süchtiges Herz
    beim Aufschein des Zeitgeists, der sich mir da darbot:
    »Unternehmensgruppe Profildesign
    Floreales Wohnen
    Leon Visage
    Home & History im Hof
    Parkplätze
    Mediterrane Duftkerzen
    Deco-Fenster«
    Wie ging es weiter, mein verzauberter Greis?
    Was kam danach, mein Glückspilz so alt?
    Ich stand vor dem Haus voller Herrlichkeiten,
    doch die Glastür zum Innern war gut verschlossen.
    Ich wollte schon gehn, da erschien im Milchglas
    der Schattenriß eines kräftigen Mannes.
    Ich sah mit Freude, wie er mir auftat,
    doch die ward zuschanden, als er mich anschrie:
    »Ich beobachte Sie schon seit zehn Minuten.
    Was wolln Sie? Die Firmen sind längst verzogen!
    Ich bin hier Hausmeister. Kraft meines Amtes
    sage ich Ihnen: Ziehen Sie Leine!«
    Zogst du denn Leine, mein neugieriger Greis?
    Zogst du klamm ab, mein Spürhund so alt?
    Mich barmten die Firmen, die da vergangen.
    Ich dachte der Menschen, die da geträumt.
    Ich weinte der Träume, die da versandet:
    Ein huhu der Unternehmensgruppe.
    Ein hoho für Home & History.
    Ein hihi für Monsieur Leon Visage.
    Ein haha für Floreales Wohnen,
    für Deco-Fenster und vor allem für
    Mediterrane Duftkerzen.
    Haha, hihi, hoho, huhu!
    Das nennst du Weinen, mein muntrer Lustgreis?
    Heißt das nicht anders, mein Lachsack so alt?
    Ach hätt ich den Mund nie geöffnet!
    Da doch das, was ich heut gesehn hab,
    jeder Beschreibung spottet -
    warum tat ichs?
    Das
    Eine Einflüsterung
    In trostlos engen Nischen
    Macht sich das breit
    Verhärmt erst, doch es wächst
    Ganz offen nach
    Das hält sich nicht versteckt:
    Das heckt und heckt
    Prüft witternd freie Räume
    Besetzt sie kühn
    Bevölkert sie sodann
    So rasch es geht
    Jetzt hat es Blut geleckt:
    Das heckt und heckt
    Nun stößt es schon an Grenzen
    Und reißt sie ein
    Wo viel ist, ist viel Druck
    Und wenig Wehr
    Die klamm die Waffen streckt:
    Das heckt und heckt
    Durchbricht die stärksten Dämme
    Macht untertan
    Jetzt zählt allein die Zahl
    Die wuchernd wächst
    Von keiner Scham beleckt:
    Das heckt und heckt
    Füllt ausgedehnte Flächen
    In Windeseil
    Was immer da zu Haus
    Nun muß es fort
    Und wenns dabei verreckt:
    Das heckt und heckt
    Bemächtigt sich des Erdrunds
    Bis an den Rand
    Will weiter nichts als Wachstum
    Schreibt Scheck um Scheck
    Auf ewig ungedeckt:
    Das heckt und das heckt
    Und das heckt und das heckt.
    Neulich im »Bombay Palace«
    »Kinder statt Inder« -
    doch wer wird dann kochen?
    Wer löst das zarte Lammfleisch vom Knochen?
    Wer würzt es mit Curry?
    Wer sorgt für die Soßen?
    Wenn wir die Inder für Kinder verstoßen,
    dann sitzen wir bald schon
    mit leerem Magen,
    umgeben von Blagen,
    die schrein, statt zu fragen:
    »Und was wünschen Sie zum Dessert, mein Sahib?«
    Deutsche Frage
    Wir haben Italiener gerufen
    und es kamen Restaurantbetreiber.
    Wir haben

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