Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
dreiundzwanzigsten Runde.
Seit dem Start verfolgt der Williams von Ralf
den Ferrari des Bruders Michael.
Sechs Jahre jünger, der Bruder Ralf.
Meint das: Sechs Jahre kühner?
Oder, bezogen auf Michael:
Sechs ganze Jahre klüger?
Abgeschlagen der Dritte, Coulthard.
Fast ohne Chancen Häkkinen.
Noch einunddreißig Runden. Die Brüder
scheinens heute wissen zu wollen.
Bruder belauert Bruder. Einundvierzig
Runden sind so gelaufen.
Immer wieder versucht Bruder Ralf,
Bruder Michael auszutricksen.
Was fühlt ein Bruder, der den Bruder verfolgt?
Was spürt der verfolgte Bruder,
wenn der Rückspiegel unabänderlich zeigt:
Der dich verfolgt, ist dein Bruder–?
In der sechsundvierzigsten Runde muß
Bruder Michael an die Boxen.
Achtkommavier Sekunden genügen
Bruder Ralf, um in Führung zu gehn.
Führt vorm Ferrari und ist riesig drauf.
Fährt Rundenrekord und gibt Gummi.
Aber der Bruder hält mit: Nun verfolgt
der Verfolgte den Ex-Verfolger.
Der geht an die Boxen. Doch auch nach dem Stop
führt er unangefochten.
Vier Sekunden zurück Bruder Michael,
weit mehr als Ralf je zurücklag.
Weiter hinten, da packt Mika Häkkinen
Coulthard, doch wen interessiert das,
wenn vorne der Bruder dem Bruder davonzieht,
und das fünfzehn Runden vorm Ziel?
In weißer Wolke verabschiedet sich
Coulthard. Und an der Spitze
dürfte sich Bruder Michael freun:
Keine Punkte für den Rivalen!
Vierzig, nur vierzig Kilometer
trennen die Brüder vom Ziel.
Fehlerlos Ralf. Fehlerfrei Michael.
Bisher jedenfalls. Auch beim Schlußspurt?
Noch sieben Runden. Der rote Ferrari
folgt dem grauen Williams des Bruders
mit einer Anhänglichkeit, aus welcher
sich manches herauslesen ließe.
Achtzehn Sekunden liegen zwei Brüder
auseinander, die seit Jahrzehnten
einander behorchen, beäugen, belauern:
Wer ist denn nun der Bessere?
Die letzte Runde. Und Ralf auf dem Weg
zum zweiten Erfolg nach Imola.
Er siegt vor dem Bruder. Den dritten Platz macht
überraschenderweise Häkkinen.
Das Treppchen. Die Hymnen. Champagnerdusche.
Im Lachen vereint die Brüder.
Doch Montreals Sonne scheint auf Kerpener Körper.
Nicht in Kerpener Herzen.
Sonett vom Ende der
Spassgesellschaft in diesem
unserem Lande
Ein Land macht ernst. Seit jene Türme fielen,
fiel auch der Groschen: Nun ist Schluß mit lustig!
Ein Eiseshauch Verachtung, frostig, frustig,
streift seither die, die noch mit Worten spielen,
Die noch ihr Volk mit eitlen Ironien
auf schiefer »Talibahn« zu schliddern glauben
und unbeirrt vom Krieg nach Witzen klauben,
anstatt geschlossen in den Ernst zu ziehen–:
Getreu dem Vorbild dessen, der seit Wochen
mit grimmer Miene heilgen Krieg verkündigt,
als Rächer und Prophet von eignen Gnaden.
Kein Lächeln hat dies Antlitz überkrochen,
mit keinem Scherz hat er sich je versündigt:
Des Terrors Ernstbold Usama Bin Laden.
IV
Im Lied
Lied vom Kriegen
Er schien sehr leicht zu haben
Sie glaubten, ihn zu schaffen
Er tat, als ob er mittät
Und gab ihnen den Affen
Im stillen aber schwor er
Ich lass' mich nicht verbiegen
Die werden sich noch wundern:
Sie sollen mich nicht kriegen
Sie ließen ihn gewähren
Jedoch an langer Leine
Er suchte nach Verfolgern
Doch er entdeckte keine
Da überkam ihn Freude
Er träumte schon vom Siegen
Und schüttelte sich lachend:
Sie können mich nicht kriegen
Er folgte seinem Dämon
Er pfiff auf Amt und Würden
Er strebte stetig höher
Und scheute keine Hürden
Solange nicht gestrauchelt
Schon glaubte er zu fliegen
Da wähnten sie sich sicher:
So können wir ihn kriegen
Sie riefen: Welch ein Adler
Unmöglich, ihn zu halten
Den bremsen keine Künste
Und nicht Naturgewalten
So hoch wie er ist niemals
Ein Sterblicher gestiegen
Da glaubte er sich sicher:
Sie werden mich nicht kriegen
Sie hatten sich verschworen
Ihn eiskalt hochzuloben
Und als sie sicher waren
Er wähne sich ganz oben
Da lobten sie ihn runter
Indem sie eisern schwiegen
Ihn ängstigte die Stille:
Sie wird mich doch nicht kriegen?
Sie lagen leider richtig
Er glaubte zu vergehen
Doch da sein Leib nicht schwebte
Ist dem kein Leid geschehen
Dafür weiß nun sein Herze
Wie schwer die Worte wiegen
Zumal dann, wenn sie fehlen:
Die können jeden kriegen.
Marleens Sommer
Es ist Sommer und
Marleen fährt ans Meer.
Sie aalt sich im Sand
und zeigt alles her.
Sie gibt der Sonne
reichlich zu schaun -
Aber irgendwie wird ihr Bauch nicht braun.
Eine Woche ist um,
und Marleen weiß
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