Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
Frieder und ich
für immer. Die Todesanzeige
las ich im Süden, sie wehte
mich kalt an. Ich dachte:
Was mag ihn geschrägt haben,
den Frieder? Was hat ihm den Hals
gebrochen mitten im Sommer?
Heut weiß ichs. Zerr nicht so, Bella!
Wie soll man denn da heil nach Hause kommen?
Kurt
Schneid ich die Fußnägel,
denk ich an Kurt:
Dreizehn Jahre älter war Kurt.
Er wußte, was einem blüht
mit den Jahren. Er sagte: »Ich muß
regelmäßig zur Fußpflege.
Sonst wachsen sie mir ins Fleisch,
die Zehennägel.« Kurt schaute
mich prüfend an. So blickt
der Gefängnisinsasse auf
den Neuen. »Ist was, Kurt?«
»Wird dir auch mal so gehn.«
»Mir, Kurt?« »Ja dir, Robert.«
»Glaub ich nicht, Kurt.« »Warts ab,
Robert!« Das war Anfang
der 70er. Acht Jahre später
starb Kurt beim Angeln in Irland,
er wurde grad mal dreiundfünfzig.
Ende der 90er nun
bin ich sechzig und erinnere Kurt,
sobald ich den Fuß auf den Wannenrand
setze und die Schere das Horn
durchschneidet: »Sieh, Kurt«,
sagte ich ihm gerne, »es geht
nicht alles immer nur den Bach
runter. Dein Nagel, Kurt,
der ins Fleisch zu wachsen stets drohte,
ist nicht Los aller Menschen,
Kurt, er war dein Problem.
Ich hatte es nicht, hab es nicht,
werde es auch niemals haben:
Kurt! Nicht jedem ergeht
es wie dir. Es besteht auch
Hoffnung auf Verschonung, Kurt.
Hier der Beweis: Mein Fuß!«
Meinen Fuß betrachtend
dank ich dem Leben.
Die Nägel schneidend
denk ich an Kurts Tod.
Ich und die
Er einer von diesen lauten Verstörten,
noch jung, im Rollstuhl. Sie wohl die Mutter.
Sie schiebend, er schreiend, doch was für ein Schreien:
Zwischen Winseln und Heulen.
Ich stadtwärts, die stadtwärts, dazwischen die Straße,
unmöglich, nicht zur Kenntnis zu nehmen,
wie der da schrie. Da mochte der Blick
noch so wegschaun.
Dieses Schreien! Nicht nur die Stille
des Hochsommertags zerreißend. Es reißt auf
sehr alte Angst, die noch weiß, wie leicht man
ins Pflaster einbricht.
Schreiend tritt er ins Leben, der Mensch, und
schreiend empfiehlt sich so mancher.
Dazwischen aber gelten als Norm:
Leiden und Schweigen.
Der da aber schreit mitten im Leben.
Mitten in Frankfurt und mitten am Tage
geht er nicht, rollt er, schweigt er nicht, schreit er:
Ich lebe, ich leide.
Beugt sie sich über ihn, verstummt er.
Beugt sich nicht oft, wie soll sie dann schieben.
Schiebt sie ihn, schreit er. Beugt sie sich, schweigt er.
Aber nie lange.
Denn sie ziehn weiter, die Stumme, der Schreier.
Gottseidank muß ich in andere Richtung.
Schon ist sein Schreien kaum mehr zu vernehmen.
Das meint: für mich.
Dafür trifft's andre. Sie hören das Schreien
des Verstörten wie ich, verstört, und erinnern
das brüchige Pflaster wie ich und vergessen
den Schreier wie ich und die Frau und die Frage:
Wie die das aushält!
Frau mit Askan
Siehst du die blinde Frau dort?
Die Frau, die dieser Hund da führt,
der weiße?
Die beiden seh ich ab und zu,
wenn wir, mein schwarzer Hund und ich,
ums Eck gehn.
Dies ist ein Hundetreff, hier sieht
sich alles, was in dieser Drehe
herumbellt.
Hier läuft der Hund, hier lacht das Herz:
Ein Tier, das richtig rennen kann,
hat sichtlich mehr Spaß.
Sobald die schwarze Hündin nur
von fern den weißen Rüden sieht,
geht schon die Post ab.
Heut kam ein dritter Hund dazu,
sehr drahtig und schwarz-weiß meliert,
sieht man nicht häufig.
Wie wir so standen, hörte ich
den Pfiff des Kleibers und sah dort
am Baum zwei Kleiber.
»Sehn Sie die Kleiber?« fragte ich
das Herrchen des melierten Hunds.
»An der Kastanie?
Meist sind sie schwer zu sehn, doch die
sind ohne Scheu am Stamm zugang,
die bunten Vögel.«
»Jetzt sehe ich sie auch. Schön bunt«,
sagte der Mann. Da ruft die Frau
nach ihrem Askan.
»Sie wolln schon gehn?« frag ich die Frau.
»Das sehn Sie doch«, sagt sie und leint
den Hund an.
Da geht sie hin. Und dann kamst du.
Ich hätte sie verscheucht? Wodurch denn?
Das seh ich nicht so.
Neulich in der Mommsenstrasse
Wenn der Mann mit den sechsfach erhöhten Leberwerten
sich vorm Eck-Griechen just an jenen Tisch flackt,
an dem die zwei schon ziemlich heiteren Damen
gerade Nachschub in Form von »Fürst Metternich« ordern,
hat er ungute Karten.
»Für mich ein Wasser, Jorgo, ich habe nämlich
sechsfach erhöhte Leberwerte. Der Doktor
hat mir grad heute die rote Karte gezeigt.
Wenn ich so weitermache, sagte der Doktor,
und der Mann weiß, was er sagt, blieben mir
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