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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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der Finger sie weg und fuhr wohl,
    wie um sie zu schließen, über die Lichtung.
    Vollkommen unerheblich, die Blöße.
    Pfenniggroß erst, dann hätte ein Groschen
    vollkommen genügt, sie zu bedecken,
    die vollkommen kahle Stelle an der
    vollkommen geschwungenen linken Flanke.
    Nun ja, Sie haben natürlich vollkommen
    recht, wenn Sie einwenden: Groschengroß triffts nicht.
    Nicht mehr. Die Blöße wuchs aus zum Markstück,
    zum Zweimarkstück. Fünfmarkstück. Vollkommen unklar,
    ob das so weitergeht. Klar ist nur eines:
    Kann meinen Blick von der Stelle nicht wenden.
    Vollkommen hypnotisiert von der Blöße,
    seh ich den Glanz nicht des restlichen Felles,
    die Muskeln nicht drunter, die vollkommnen Knochen
    seh nur die vollkommen nackte Haut:
    Rötlich, gerunzelt, rund wie ein Auge.
    Treu schaut der Hund, vollkommen gefühllos
    glotzt der Verfall. So sieht er aus allem
    Vollkommnen dich an: Warte nur balde,
    und ich beherrsche das Feld vollkommen.
    Der lange Abschied von Billie
    Jede Katze stirbt anders. Diese
    hat Darmkrebs. Nachts liegen wir wach
    und hörn ihr verzweifeltes Scharren im Kästchen.
    Tags in der Streu sind wieder nur Blutstropfen.
    Jedes Sterben scheint endlos. Dieses
    zieht sich seit Wochen. Nachts schwören wir heilig,
    am nächsten Tag den Arzt anzurufen.
    Tags zögert die Hand. Der Hörer bleibt liegen.
    Was nicht gestorben ist, lebt noch. Die Katze
    stirbt, aber pflegt sich. Nachts glaubt sie sich sicher
    und wetzt die Krallen nutzlos am Teppich.
    Tags haust sie heimlich in dunklen Verstecken.
    Jede Katze ist einzig. Mit jeder
    geht was für immer. Nachts sagen wir: »Sei's drum.
    Schön war's mit dieser Katze, doch alles
    muß einmal enden.« Tags seufzen wir und schweigen.
    Die Zypressen
    Hätte nie gedacht, ich könnte einmal damit leben,
    daß auch die Zypressen hinter unserm Hause
    einmal sterben würden. Und nun tun sie's.
    Habe, ach, wie oft in all den fünfundzwanzig Jahren,
    kaum vorm Hause mit dem Auto angekommen,
    bänglich hochgeschaut: Und die Zypressen?
    Hatte lange das Gefühl: Rundum, da wird gestorben,
    aber die Zypressen hinter unserm Hause
    sind gefeit. Doch mein Gefühl trog.
    Waren erst nur Zweiglein, nicht der Rede wert, entnadelt,
    sind es nun schon Äste. Ganze Wipfel ragen
    skelettiert. Arme Zypressen!
    Habe mich natürlich oft genug danach erkundigt,
    ob man ihnen helfen könne, den Zypressen.
    Immer war die Antwort: Nein, man kann nicht.
    Unbesiegbar sei die Allianz von Umweltgiften,
    Pilzbefall und Schwächung der Immunsysteme:
    »Denken Sie an den Verkehr!« Ich dachte:
    Hätte nie geglaubt, ich könnte einmal Mitschuld tragen,
    daß es den Zypressen hinter unserm Hause,
    hundertjährig, schlechtgeht. Und nun tu ich's.
    Hab ein Auto. Hab ein Haus hier. Hatte gute Gründe
    Jahr für Jahr hierherzukommen. Die Zypressen
    hatten's besser: War'n schon in Italien.
    Hatten's schlecht: Je öfter ich ins Land der Sehnsucht düste,
    desto sichtbarer ward der Zypressen Schwindsucht:
    »Schau, wir sterben?« »Aber ach, ich seh's ja!«
    Hab mitangesehn, wie das vor zwanzig Jahren losging,
    das Zypressensterben, sah, wie es sich hinzog,
    unaufhaltsam. Bleibt nur eine Hoffnung:
    Schrägt es die Zypressen weiter derart langsam, hab ich
    gute Karten, vorher noch ins Gras zu beißen:
    Erst stirbt der Mensch, dann – oder so ähnlich.

VIII
    Im Wort
    Mutter Natur
ODER
Variationen über eine Zeile von
Friedrich Klopstock
ODER
in zwanzig Strophen
um das Thema Nummer eines
    Schön ist,
    Mutter Natur,
    deiner Erfindung Pracht.
    Aber was, Mutter Natur, hast
    du dir dabei gedacht?
    Die Hitz brach los,
    Mutter Natur,
    die Plätze überquellen
    von deinen neuen dies-
    jährigen Frauenmodellen.
    Und die bestehn,
    Mutter Natur,
    halten zu Gnaden,
    aus fleischlichen Schultern und nicht
    minder fleischlichen Waden.
    Vor allem aber,
    Mutter Natur,
    ich muß doch sehr bitten,
    definiert sie ein A……. samt
    unübersehbaren T…….….!
    Diese Neuen sind,
    Mutter Natur,
    ich sag mal: vermeintlich
    männerfreundlich, doch recht
    eigentlich männerfeindlich.
    Glaubst du im Ernst,
    Mutter Natur,
    wir könnten abfahren,
    wir Männer, mein ich, auf Fraun
    aufgetakelt wie Waren?
    Ist dir nicht bewußt,
    Mutter Natur,
    daß wir durchschauen
    dein krankes Spiel mit zum
    Objekt reduzierten Frauen?
    Begreifst du nicht,
    Mutter Natur,
    wie sehr du uns Männer kränkst,
    wenn du uns heuer mit solch
    »neuen« Frauen »beschenkst«?
    Dann laß mich,
    Mutter Natur,
    dir meine Meinung geigen:
    Wir

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