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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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alt.
    Ach Adelbert von Chamisso
    O hochbegabter Hauff
    Verwehter Wilhelm Müller
    Gespaltener Graf von Platen
    Annette von Droste-Hülshoff – ihr senktet
    Alle zu früh eure Fackel.
    Nie lustiger Nikolaus Lenau
    Nie heimischer Heinrich Heine
    Nie fröhlicher Friedrich Hebbel
    Stets nachdenklicher Friedrich Nietzsche -
    Samt dem in die Ferne drängenden Dauthendey
    Welktet ihr vor der Reife.
    Krankheit schlug Christian Morgenstern
    Herzweh Hugo von Hofmannsthal
    Haß verfolgte van Hoddis
    Erz ereilte Ernst Stadler
    Rosen beschwor noch der röchelnde Rilke
    Solang dazu Zeit war.
    Es ging Georg Heym
    Es starb August Stramm
    Es litt Alfred Lichtenstein
    Es bezahlte Ernst Blass
    Es verschlang Flex und Trakl ein Krieg,
    Der auf Frischfleisch aus war.
    Einsamer Erich Mühsam
    Waidwunder Franz Werfel
    Glückloser Yvan Goll
    Rastloser Joachim Ringelnatz -
    Gleich dem schwatzhaften Schwitters gingt ihr zeitig
    Oder wurdet gegangen.
    Heimatlos Max Hermann-Neisse
    Todtraurig Kurt Tucholsky
    Sterbenskrank Klabund
    Wahngeschlagen Weinheber
    Im KZ gemordet Gertrud Kolmar -
    Das Ende hat viele Gesichter.
    Langgässer hielt es nicht lange
    Beizeiten ging Bertolt Brecht
    Theodor Kramer verkam
    Reinhold Schneider verschied
    Den Albrecht Haushofer holten die Henker
    Zur frühen letzten Stunde.
    Verendender Wolfgang Borchert
    Verblassender Bobrowski
    Verkümmernde Christine Lavant
    Verzweifelnder Paul Celan -
    Mit Konrad Bayer, dem bleichen Komplizen,
    Macht ihr die sechzig voll.
    Fehln noch drei Dichter,
    Um dreiundsechzig
    Namen zu nennen,
    Die es nicht schafften,
    Den dreiundsechzigsten Lenz zu feiern.
    Oder wollten sie's gar nicht und machten sich deshalb
    Beizeiten aus dem Staube?
    Brennende Ingeborg Bachmann
    Blutender Rolf Dieter Brinkmann
    Euch ging und vielen der andern
    Voran der schlesische Engel
    Angelus Silesius.
    Wann schlägt, ihm zu folgen, die Stunde dem,
    Der euch alle überlebt hat?
    Jahresringe
    Es legen sich die Jahre
    rund um das Herz wie Ringe.
    Kein Sterblicher darf hoffen,
    daß einer je zerspringe.
    Uns Sterbliche verbindet
    ein Los: Uns eint die Falle.
    Kein Ring sprang je alleine.
    Brichts Herz, zerspringen alle.
    Prognose
    Ich werde mal an etwas sterben.
    Soviel ist sicher, ungewiß
    ist lediglich, woran. Die Erben
    kratzts nicht. Denn eines ist gewiß:
    Mal werde ich an etwas sterben.
    Ich werd an etwas sterben, einmal.
    Noch ist es nicht soweit. Gewiß
    ist jedoch eins: Da droht kein Reinfall.
    Denn eins ist sicher: Ungewiß
    ist nichts. Dies Einmal wird kein Keinmal.
    Als wir die Katze einschlägern lassen
mussten
    Krankes, gutverstecktes Tier,
    Hab Vertrauen, komm zu mir,
    Ich bin's doch, dein Schätzchen.
    Sei nicht ängstlich, Kreatur,
    Schau, ich bringe dir ja nur
    Deinen Tod, mein Kätzchen.
    Gespräch über den Tod
    »So könnt es in den Tod gehn:
    Längst liegt der Weg im Schatten,
    da fällt aus einer Schneise
    zur Rechten helles Licht.
    Die vor dir gehn, erglühen.
    Sie öffnen ihre Arme.
    Das Licht faßt ihre Körper
    durchdringend und goldrot.
    Nach kurzem Stehenbleiben
    zieht es sie in die Schneise.
    Sie fliegen in das Leuchten,
    als hemmte Schwerkraft nicht.
    Da legst du einen Schritt zu.
    Nichts kann dich mehr beschweren
    so kurz vor der Erleuchtung -«
    »So gehts nicht in den Tod.«
    Zeitenwende
    Holt Vergangenheit mich ein,
    mache ich mich rund und klein,
    rund und klein als wie ein Kind,
    daß sie mich nicht sieht, nicht findt.
    Läuft Vergangenheit vorbei,
    mischt sich Freude Schrecken bei,
    weil, was da verschont, erkennt,
    was sich ab jetzt Zukunft nennt.

VII
    Im Leid
    Frieder
    Eisregen. Der letzte fiel
    vor gut einem Jahr. Damals
    wie heute ist es der Hund,
    der mich hinter dem sicheren
    Ofen hervorlockt. Wie heute
    hangelte ich damals an vereisten
    Gartenzäunen, gezogen
    vom rutschenden Hund. Er sah
    Frieder zuerst. Fast wärn
    an der Ecke Melemstraße-
    Eschersheimer wir
    regelrecht ineinander-
    gerutscht, Frieder und ich.
    Ich stellte vor: »Das ist Bella.«
    »Bella? So nennt sich auch unser
    Hund!« »Welch lustiger Zufall,
    Frieder! Und sonst? Wie geht's dir?«
    »Gut. Ich lebe seit kurzem
    in Ortenberg. Kennst du das Städtchen?«
    »Aber sicher. Ganz reizend! Vor allem der
    Schloßberg.« »Da wohn ich!« »Nein!«
    »Doch! Besuch mich mal!« »Gerne!«
    »Mit Bella!« »Mit Bella! Dann lernst
    du endlich, daß es noch andere
    Bellas gibt, Bella!« »Man sieht sich!«
    »Du sagst es!« »Ciao Bella!« »Tschüss Frieder!«
    Und lachend und rutschend trennten
    wir uns,

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