Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
alt.
Ach Adelbert von Chamisso
O hochbegabter Hauff
Verwehter Wilhelm Müller
Gespaltener Graf von Platen
Annette von Droste-Hülshoff – ihr senktet
Alle zu früh eure Fackel.
Nie lustiger Nikolaus Lenau
Nie heimischer Heinrich Heine
Nie fröhlicher Friedrich Hebbel
Stets nachdenklicher Friedrich Nietzsche -
Samt dem in die Ferne drängenden Dauthendey
Welktet ihr vor der Reife.
Krankheit schlug Christian Morgenstern
Herzweh Hugo von Hofmannsthal
Haß verfolgte van Hoddis
Erz ereilte Ernst Stadler
Rosen beschwor noch der röchelnde Rilke
Solang dazu Zeit war.
Es ging Georg Heym
Es starb August Stramm
Es litt Alfred Lichtenstein
Es bezahlte Ernst Blass
Es verschlang Flex und Trakl ein Krieg,
Der auf Frischfleisch aus war.
Einsamer Erich Mühsam
Waidwunder Franz Werfel
Glückloser Yvan Goll
Rastloser Joachim Ringelnatz -
Gleich dem schwatzhaften Schwitters gingt ihr zeitig
Oder wurdet gegangen.
Heimatlos Max Hermann-Neisse
Todtraurig Kurt Tucholsky
Sterbenskrank Klabund
Wahngeschlagen Weinheber
Im KZ gemordet Gertrud Kolmar -
Das Ende hat viele Gesichter.
Langgässer hielt es nicht lange
Beizeiten ging Bertolt Brecht
Theodor Kramer verkam
Reinhold Schneider verschied
Den Albrecht Haushofer holten die Henker
Zur frühen letzten Stunde.
Verendender Wolfgang Borchert
Verblassender Bobrowski
Verkümmernde Christine Lavant
Verzweifelnder Paul Celan -
Mit Konrad Bayer, dem bleichen Komplizen,
Macht ihr die sechzig voll.
Fehln noch drei Dichter,
Um dreiundsechzig
Namen zu nennen,
Die es nicht schafften,
Den dreiundsechzigsten Lenz zu feiern.
Oder wollten sie's gar nicht und machten sich deshalb
Beizeiten aus dem Staube?
Brennende Ingeborg Bachmann
Blutender Rolf Dieter Brinkmann
Euch ging und vielen der andern
Voran der schlesische Engel
Angelus Silesius.
Wann schlägt, ihm zu folgen, die Stunde dem,
Der euch alle überlebt hat?
Jahresringe
Es legen sich die Jahre
rund um das Herz wie Ringe.
Kein Sterblicher darf hoffen,
daß einer je zerspringe.
Uns Sterbliche verbindet
ein Los: Uns eint die Falle.
Kein Ring sprang je alleine.
Brichts Herz, zerspringen alle.
Prognose
Ich werde mal an etwas sterben.
Soviel ist sicher, ungewiß
ist lediglich, woran. Die Erben
kratzts nicht. Denn eines ist gewiß:
Mal werde ich an etwas sterben.
Ich werd an etwas sterben, einmal.
Noch ist es nicht soweit. Gewiß
ist jedoch eins: Da droht kein Reinfall.
Denn eins ist sicher: Ungewiß
ist nichts. Dies Einmal wird kein Keinmal.
Als wir die Katze einschlägern lassen
mussten
Krankes, gutverstecktes Tier,
Hab Vertrauen, komm zu mir,
Ich bin's doch, dein Schätzchen.
Sei nicht ängstlich, Kreatur,
Schau, ich bringe dir ja nur
Deinen Tod, mein Kätzchen.
Gespräch über den Tod
»So könnt es in den Tod gehn:
Längst liegt der Weg im Schatten,
da fällt aus einer Schneise
zur Rechten helles Licht.
Die vor dir gehn, erglühen.
Sie öffnen ihre Arme.
Das Licht faßt ihre Körper
durchdringend und goldrot.
Nach kurzem Stehenbleiben
zieht es sie in die Schneise.
Sie fliegen in das Leuchten,
als hemmte Schwerkraft nicht.
Da legst du einen Schritt zu.
Nichts kann dich mehr beschweren
so kurz vor der Erleuchtung -«
»So gehts nicht in den Tod.«
Zeitenwende
Holt Vergangenheit mich ein,
mache ich mich rund und klein,
rund und klein als wie ein Kind,
daß sie mich nicht sieht, nicht findt.
Läuft Vergangenheit vorbei,
mischt sich Freude Schrecken bei,
weil, was da verschont, erkennt,
was sich ab jetzt Zukunft nennt.
VII
Im Leid
Frieder
Eisregen. Der letzte fiel
vor gut einem Jahr. Damals
wie heute ist es der Hund,
der mich hinter dem sicheren
Ofen hervorlockt. Wie heute
hangelte ich damals an vereisten
Gartenzäunen, gezogen
vom rutschenden Hund. Er sah
Frieder zuerst. Fast wärn
an der Ecke Melemstraße-
Eschersheimer wir
regelrecht ineinander-
gerutscht, Frieder und ich.
Ich stellte vor: »Das ist Bella.«
»Bella? So nennt sich auch unser
Hund!« »Welch lustiger Zufall,
Frieder! Und sonst? Wie geht's dir?«
»Gut. Ich lebe seit kurzem
in Ortenberg. Kennst du das Städtchen?«
»Aber sicher. Ganz reizend! Vor allem der
Schloßberg.« »Da wohn ich!« »Nein!«
»Doch! Besuch mich mal!« »Gerne!«
»Mit Bella!« »Mit Bella! Dann lernst
du endlich, daß es noch andere
Bellas gibt, Bella!« »Man sieht sich!«
»Du sagst es!« »Ciao Bella!« »Tschüss Frieder!«
Und lachend und rutschend trennten
wir uns,
Weitere Kostenlose Bücher