Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
leer.
Schräg ging mein Schatten vor mir her,
indes der deine lief.
Du warst mir unbekannt.
Ihr nähertet euch schnell.
Dein Schatten dunkel und du hell,
so kamt ihr übern Sand.
Sehr schön und ziemlich nackt
liefst du an mir vorbei.
Da warn die Schatten nicht mehr zwei,
sie deckten sich exakt.
Wir sahn euch lange nach.
Ihr drehtet euch nicht um.
Ihr lieft, du und dein Schatten, stumm,
von uns sprach einer: Ach.
Ein lustiges Missverständnis
in der Hostaria da Nella
Aus dem Lärm, in Fetzen, Sätze.
Aus den Sätzen, flüchtig, Worte.
Von den Worten eines deutlich:
Trippa, trippa, trippa, trippa.
Trippa! Wie das lockend trippelt!
Trippa? È il nostro piatto
tipico e più gradito,
questa trippa, trippa, trippa.
Einmal trippa! Bene! Trippelnd
geht die Wirtin. Aber humpelnd
kehrt sie wieder, in der Schüssel
Kutteln, Kutteln, Kutteln, Kutteln.
Deutscher im Ausland
Ach nein, ich bin keiner von denen, die kreischend
das breite Gesäß in den Korbsessel donnern,
mit lautem Organ »Bringse birra« verlangen
und dann damit prahlen, wie hart doch die Mark sei.
Ach ja, ich bin einer von jenen, die leidend
verkniffenen Arschs am Prosecco-Kelch nippen,
stets in der Furcht, es könnt jemand denken:
Der da! Gehört nicht auch der da zu denen?
Sibilla
Sibilla, die nicht richtig hinsehen kann.
Ihre Augen, die ständig umherschweifen,
als müsse sie jeden Moment die Flucht ergreifen,
Sibilla, die man nicht richtig ansehen kann.
Sibilla, die nicht richtig zuhören kann.
Ihr Kopf, den sie ruckartig abwendet,
die einen Satz beginnt, den sie nicht beendet,
Sibilla, der man nicht richtig zuhören kann.
Sibilla, die nicht richtig gehen kann.
Ihre Füße, die sie gedankenlos setzt,
dann einen hochschnellt, als sei er verletzt,
Sibilla, mit der man nicht richtig gehen kann.
Sibilla, die nicht richtig essen kann.
Ihre Hände, die sich abdrehen und spreizen,
als würde sie ein plötzlicher Stromstoß reizen,
Sibilla, mit der man nicht essen gehen kann.
Sibilla, die richtig trinken kann.
Die hinsieht, zuhört, tänzelt und lacht,
zum Glas greift, redet und Männer anmacht,
Sibilla, die nicht so viel trinken sollte.
Paare im »Mizzi Club«
1
Welch eine wunderschöne Frau
mit was für wundervollem Haar.
Die immer unerreichbar war,
sitzt strahlend neben mir, ich schau
Ganz fassungslos. Wie sie kokett
die Hände legt, die Augen hebt,
auf ihn, zu ihm, für den sie lebt,
den Mann im Neunzig-Mark-Jackett.
Und meines kostet gut achthundertfünfzig.
2
Der mit dem wehen Zug,
er dauert mich.
Sie redet auf ihn ein.
Er windet sich.
Wann hätte eine Frau jemals einen Mann verstanden?
Der mit dem wehen Zug
schaut immer weher.
Nun rückt er von ihr ab.
Sie rückt ihm näher:
Wann hätte eine Frau jemals ihre Grenzen erkannt?
Der mit dem wehen Zug
blickt nurmehr schmerzlich.
Da hält sie ein und weint.
Da lacht er herzlich:
Wann hätte eine Frau jemals begriffen, was Sache ist?
3
Zwei Frauen, dann ich,
dazwischen Leere -
wie schön, daß ich keine
von beiden begehre.
Die eine geht grade
zur Toilette,
die ist nicht begehrenswert,
nur eine nette.
Die andre tut so,
als ob sie was schriebe,
auch sie nicht begehrenswert,
nur eine liebe.
Wie nüchtern der männliche
Blick betrachtet.
Wie kommt's, daß kein weiblicher
ihn beachtet?
Wohl besoffen, die beiden!
Riesling
Als hätt ich mich je
nach was andrem gesehnt als
nach Sehnsucht
Zwar waren da manchmal
Menschen im Spiel, öfter
Himmel
Nein so: Diese Himmel
verlangten nach Menschen
zum Beispiel
Der Abendhimmel
vor Prato, und draußen
ist Juni
Und Lindenblüten
durchs offene Fenster
des Schnellzugs
Und der Schlafwagenkellner
bringt gleich einen eiskalten
Riesling
Und ein Rosa geht über
in Dunkles, als gäb's keine
Grenzen
Und der Bergkamm davor
ist nurmehr eine einzige
Lockung
Und das Zwielicht macht Lust
jetzt und gleich aus dem Fenster
zu springen
Und alles reißt mit
und zurück, und ich bin wieder
siebzehn
Und sehn mich nach Sehnsucht
und glaube, ich sehn mich
nach Menschen
Und mal ihn mir aus
diesen Menschen, er rückt immer
näher
Und da tritt er ein
und sein Eintritt sprengt sämtliche
Grenzen
Und nun faßt er zu
und sein Zugriff verdeckt jeden
Himmel
Doch dann bleibt er da. Da
beginnt er so schrecklich
zu schrumpfen
Und hinter ihm grenzenlos
wächst wie der Himmel
die Sehnsucht
Und der Schlafwagenkellner
klopft an und meldet:
Il
Weitere Kostenlose Bücher