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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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drittens, beschneidet:
    Ein Rücken des Stuhls -
    und der Blick ist vollkommen.
    Geht sie drauf, die Natur? Oder muß sie sich umstell'n?
    Wahrscheinlich falsch, sie im Freien zu lassen.
    In Büros und in Banken, da wuchert und grünt es
    dermaßen prächtig – da kommt kein Wald mit.
    13
    Sah erst nur die großen Schatten
    Glitten über den Zementplatz
    Übers Buch auch einer, das ich
    Grade las, es ging um Caesar.
    Römer wußten sie zu deuten
    Die Bewegungen der Vögel
    Doch was hätten die Auguren
    Wohl aus diesem Schwarm gelesen?
    Möwen! Hier am Rand des Chianti!
    Nie in all den dreizehn Jahren
    Sah ich auch nur eine einz'ge
    Und nun kreisten zwölf. Die Schatten
    Fanden sich zu flücht'gen Mustern
    Dann ein Schrei. Sie flogen weiter
    Richtung Berge. Was zum Teufel
    Trieb die meerverbundenen Vögel
    In die Berge? Staunend sah ich
    Ihnen nach. Doch in das Staunen
    Mischte sich dies, schwer zu sagen,
    War es Grausen?
    14
    Wenn sich die Zeichen mehren,
    geht was den Bach runter.
    Wenn was den Bach runtergeht,
    muß der Mensch sich bescheiden.
    Dann darf er nichts weiter fordern
    als das Vollkommene.
    Nicht mehr als das, aber
    bei Gott! auch nicht weniger.

IV
    Ich
    Revision im Spiegel
    Wenn ich meinen Hals betrachte,
    fühl' ich, wie ich mich verachte.
    Wenn ich meinen Mund beschaue,
    spür' ich, daß ich mir vertraue.
    Wenn ich meine Stirn besehe,
    denk' ich, daß ich mich verstehe,
    Dann ein Blick aus meinen Augen -
    und ich weiß, wieviel wir taugen.
    Siebenmal mein Körper
    Mein Körper ist ein schutzlos Ding,
    ein Glück, daß er mich hat.
    Ich hülle ihn in Tuch und Garn
    und mach' ihn täglich satt.
    Mein Körper hat es gut bei mir,
    ich geb' ihm Brot und Wein.
    Er kriegt von beidem nie genug,
    und nachher muß er spein.
    Mein Körper hält sich nicht an mich,
    er tut, was ich nicht darf.
    Ich wärme mich an Bild, Wort, Klang,
    ihn machen Körper scharf.
    Mein Körper macht nur, was er will,
    macht Schmutz, Schweiß, Haar und Horn.
    Ich wasche und beschneide ihn
    von hinten und von vorn.
    Mein Körper ist voll Unvernunft,
    ist gierig, faul und geil.
    Tagtäglich geht er mehr kaputt,
    ich mach' ihn wieder heil.
    Mein Körper kennt nicht Maß noch Dank,
    er tut mir manchmal weh.
    Ich bring ihn trotzdem übern Berg
    und fahr' ihn an die See.
    Mein Körper ist so unsozial.
    Ich rede, er bleibt stumm.
    Ich leb' ein Leben lang für ihn.
    Er bringt mich langsam um.
    Noch einmal: mein Körper
    Mein Körper rät mir:
    Ruh dich aus!
    Ich sage: Mach' ich,
    altes Haus!
    Denk' aber: Ach, der
    sieht's ja nicht!
    Und schreibe heimlich
    dies Gedicht.
    Da sagt mein Körper:
    Na, na, na!
    Mein guter Freund,
    was tun wir da?
    Ach gar nichts! sag' ich
    aufgeschreckt,
    und denk': Wie hat er
    das entdeckt?
    Die Frage scheint recht
    schlicht zu sein,
    doch ihre Schlichtheit
    ist nur Schein.
    Sie läßt mir seither
    keine Ruh:
    Wie weiß mein Körper
    was ich tu?
    Tischtuchgedicht
    Auf dem Tischtuch helle Kringel -
    kommen die vom Sonnenlicht?
    »Mann, sag's nicht!«
    Nein, die sind vom weißen Wein,
    denn den scheint die Lampe an.
    »Laß es, Mann!«
    Wacker wackeln die Reflexe,
    sind so jesusmäßig hell.
    »Mann, mach schnell!«
    Gleißen freilich nicht mehr lange.
    Da! Ich setz den Becher an -
    »Endlich, Mann!«
    Ich Stellvertreter
    Und wieder mal an jenem Punkt,
    an dem du sagen mußt: Es reicht!
    Wer jetzt nicht seine Schuld begleicht,
    der sitzt zu Recht in dem Lokal.
    Der Wirt knallt dir den Teller hin,
    den Eintopf, den nur jener frißt,
    dem gar nicht mehr zu helfen ist -
    Nein danke, Chef, ich gehe.
    »Nur einen Löffel auf den Weg« -
    Gut. Draußen ist es schwarz und kalt,
    die Pampe mag da – aber halt!
    Mehr kriege ich nicht runter.
    »Und einen Löffel für Mama,
    na komm schon, sei ein braver Sohn« -
    So fängt das immer an und schon
    haben sie dich wieder.
    Ach, leck nur deinen Teller aus -
    Ich lecke ihn? Wieso denn ich?
    Ich tue das doch nur für dich!
    Halt! Geh nicht! Hiergeblieben!
    Beim Anblick des Fregattvogels
    Den hat kein grübelnd Hirn ersonnen,
    der ist aus Stoff und Sturm geronnen
    zu reinem Flug.
    Der ist der Inbegriff des Schwebens,
    des Höher-, Schneller-, Weiterlebens,
    und ich karieche.
    Jammer
    Da setzt ein großes Tier sich auf
    die Knie deines Herzens
    und sagt: Mein Freund, erhebe dich.
    Mach ernst. Genug des Scherzens.
    Sieh deines Herzens Knie an.
    Mein lieber Freund, sie bluten.
    Da hört der Spaß auf. Es wird
    ernst. Das ist zuviel des Guten.
    Da willst du deines Herzens

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