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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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in duftende Wiese
    Wer denn da eigentlich wen ständig schmerzte
    War ich der Täter?
    Wart ihr das Opfer?
    Waren die eins?
    Ich möchte aus meiner Mundhöhle ausziehn
    Ich will, daß wir uns in Frieden trennen
    Geht ihr nach links? So will ich nach rechts gehn
    Gründlich vergessend, wie sehr wir uns kränkten
    Herzlich dem Zahnfleisch, den Zähnen nachwinkend
    Ihr immer im Dunkel
    Ich immer in Ängsten
    Wir immer eins.
    Fototermin
    Der Gernhardt wird fotografiert!
    Viele Fotos macht man vom Gernhardt!
    Der Gernhardt zeigt sich von seiner besten Seite!
    Dank sagt der Fotograf dem Gernhardt!
    Abends aber in der Dunkelkammer
    überkommt ihn nie gekannter Jammer.
    Schluchzend schaltet er den Leuchttisch aus.
    Was er sah? Man wird es nie erfahren.
    Nicht vom Fotografen. Schon seit Jahren
    hütet der die Zunge und das Haus.
    Nächtens aber ist es ihm, als riefe
    jemand: »Rette mich!«
    Jemand in dem Schrank der Negative.
    Und es schüttelt ihn.
    Portrait
    Das Leben zeichnet mich:
    Da hast du dein Gesicht!
    Laß stecken, sage ich,
    dein Werk gefällt mir nicht.
    Die Haut ist mir zu fahl.
    Das Haar ist mir zu dünn.
    Auch säh' ich mich gern schmal,
    mit ausgeprägtem Kinn.
    Das Leben schreit: Es reicht!
    Welch lachhafte Beschwerden!
    Willst du ab jetzt vielleicht
    vom Tod gezeichnet werden?
    Uunverzeihlich
    Das würde ich einer Frau nie verzeihen,
    wenn die so aussehn würde, wie ich ausseh'.
    Mehr Fett als Fleisch, wenn Sie verstehen, was ich meine,
    und dann dieses Fett auch noch voller Dellen.
    Woher dieser Langmut der Frauen mit mir?
    Soll man den loben? Ihn tadeln? Sie schelten?
    Nun komm' Sie mir bloß nicht mit inneren Werten!
    Die kann man doch weder sehen noch anfassen!
    Mich kann man sehen. Mich kann man anfassen.
    Ich find' aber beides nicht so sehr lustig.
    Gesegnet die Frauen, die anders denken,
    sofern sie auch deutlich anders aussehn.
    Lesung
    Menschen schauen mich an:
    Da kommt der Gernhardt, Mann!
    Menschen schauen mir zu:
    Das ist der Gernhardt, du!
    Menschen schauen mir nach:
    Das war der Gernhardt, ach!
    Menschen schauen sich an:
    Der wird auch nicht jünger!
    Immer
    Immer einer behender als du
    Du kriechst
    Er geht
    Du gehst
    Er läuft
    Du läufst
    Er fliegt:
    Einer immer noch behender.
    Immer einer begabter als du
    Du liest
    Er lernt
    Du lernst
    Er forscht
    Du forschst
    Er findet:
    Einer immer noch begabter.
    Immer einer berühmter als du
    Du stehst in der Zeitung
    Er steht im Lexikon
    Du stehst im Lexikon
    Er steht in den Annalen
    Du stehst in den Annalen
    Er steht auf dem Sockel:
    Einer immer noch berühmter.
    Immer einer betuchter als du
    Du wirst besprochen
    Er wird gelesen
    Du wirst gelesen
    Er wird verschlungen
    Du wirst geschätzt
    Er wird gekauft:
    Einer immer noch betuchter.
    Immer einer beliebter als du
    Du wirst gelobt
    Er wird geliebt
    Du wirst geehrt
    Er wird verehrt
    Dir liegt man zu Füßen
    Ihn trägt man auf Händen:
    Einer immer noch beliebter.
    Immer einer besser als du
    Du kränkelst
    Er liegt danieder
    Du stirbst
    Er verscheidet
    Du bist gerichtet
    Er ist gerettet:
    Einer immer noch besser
    Immer
    Immer
    Immer.
    Rondo
    So, voll Müdigkeit und Trauer,
    endet jegliche Geschichte.
    Alles macht die Zeit zunichte.
    Mit der Zeit wird niemand schlauer,
    da das kein Geschöpf auf Dauer
    aushält, dieses stete Enden,
    diese Leere in den Händen,
    so voll Müdigkeit und Trauer.
    Was es alles gibt
    Es gibt so etwas
    wie eine Hand
    Es gibt so etwas
    wie eine Axt
    Es gibt so etwas
    wie einen Griff
    Es gibt so etwas
    wie einen Schlag
    Gibt es so etwas
    wie keinen Finger?
    Ein Haus
    Das hast du stets gewußt,
    daß es das gibt: ein Haus,
    da tritt man warm hinein
    und kommt erkaltet raus.
    Die angelehnte Tür.
    Der Lichtstrahl lockt und weist.
    Der leichte Rauch besagt:
    Du bist genug gereist.
    »Dann geht ihr schon mal vor.
    Ich komme nach, na klar.«
    Noch hoffst du, daß du lügst.
    Schon weißt du: Es wird wahr.
    Diese Doppelgänger
    Lästig, sich selber zu begegnen.
    Im Lauf des Lebens häufen sich Doppelgänger.
    Sie treten dir in den Weg und sagen:
    Da, wo ich herkomm', würd' ich nicht hingehn.
    Versteh mich nicht falsch, Chef. Das ist nur ein Vorschlag.
    Aber an deiner Stelle tät' ich -
    Hier brechen sie ab, denn du schiebst sie beiseite.
    Das Gute ist: Man kann sie locker links liegenlassen.
    Das Dumme ist: Sie behalten so verdammt oft recht.
    Eigentlich immer.
    Zufriedenheit
    Ich sitze gern allein in vollen Zelten
    wenn links ein Schluchzen
    rechts ein Schelten
    ein Weinen

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