Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
in duftende Wiese
Wer denn da eigentlich wen ständig schmerzte
War ich der Täter?
Wart ihr das Opfer?
Waren die eins?
Ich möchte aus meiner Mundhöhle ausziehn
Ich will, daß wir uns in Frieden trennen
Geht ihr nach links? So will ich nach rechts gehn
Gründlich vergessend, wie sehr wir uns kränkten
Herzlich dem Zahnfleisch, den Zähnen nachwinkend
Ihr immer im Dunkel
Ich immer in Ängsten
Wir immer eins.
Fototermin
Der Gernhardt wird fotografiert!
Viele Fotos macht man vom Gernhardt!
Der Gernhardt zeigt sich von seiner besten Seite!
Dank sagt der Fotograf dem Gernhardt!
Abends aber in der Dunkelkammer
überkommt ihn nie gekannter Jammer.
Schluchzend schaltet er den Leuchttisch aus.
Was er sah? Man wird es nie erfahren.
Nicht vom Fotografen. Schon seit Jahren
hütet der die Zunge und das Haus.
Nächtens aber ist es ihm, als riefe
jemand: »Rette mich!«
Jemand in dem Schrank der Negative.
Und es schüttelt ihn.
Portrait
Das Leben zeichnet mich:
Da hast du dein Gesicht!
Laß stecken, sage ich,
dein Werk gefällt mir nicht.
Die Haut ist mir zu fahl.
Das Haar ist mir zu dünn.
Auch säh' ich mich gern schmal,
mit ausgeprägtem Kinn.
Das Leben schreit: Es reicht!
Welch lachhafte Beschwerden!
Willst du ab jetzt vielleicht
vom Tod gezeichnet werden?
Uunverzeihlich
Das würde ich einer Frau nie verzeihen,
wenn die so aussehn würde, wie ich ausseh'.
Mehr Fett als Fleisch, wenn Sie verstehen, was ich meine,
und dann dieses Fett auch noch voller Dellen.
Woher dieser Langmut der Frauen mit mir?
Soll man den loben? Ihn tadeln? Sie schelten?
Nun komm' Sie mir bloß nicht mit inneren Werten!
Die kann man doch weder sehen noch anfassen!
Mich kann man sehen. Mich kann man anfassen.
Ich find' aber beides nicht so sehr lustig.
Gesegnet die Frauen, die anders denken,
sofern sie auch deutlich anders aussehn.
Lesung
Menschen schauen mich an:
Da kommt der Gernhardt, Mann!
Menschen schauen mir zu:
Das ist der Gernhardt, du!
Menschen schauen mir nach:
Das war der Gernhardt, ach!
Menschen schauen sich an:
Der wird auch nicht jünger!
Immer
Immer einer behender als du
Du kriechst
Er geht
Du gehst
Er läuft
Du läufst
Er fliegt:
Einer immer noch behender.
Immer einer begabter als du
Du liest
Er lernt
Du lernst
Er forscht
Du forschst
Er findet:
Einer immer noch begabter.
Immer einer berühmter als du
Du stehst in der Zeitung
Er steht im Lexikon
Du stehst im Lexikon
Er steht in den Annalen
Du stehst in den Annalen
Er steht auf dem Sockel:
Einer immer noch berühmter.
Immer einer betuchter als du
Du wirst besprochen
Er wird gelesen
Du wirst gelesen
Er wird verschlungen
Du wirst geschätzt
Er wird gekauft:
Einer immer noch betuchter.
Immer einer beliebter als du
Du wirst gelobt
Er wird geliebt
Du wirst geehrt
Er wird verehrt
Dir liegt man zu Füßen
Ihn trägt man auf Händen:
Einer immer noch beliebter.
Immer einer besser als du
Du kränkelst
Er liegt danieder
Du stirbst
Er verscheidet
Du bist gerichtet
Er ist gerettet:
Einer immer noch besser
Immer
Immer
Immer.
Rondo
So, voll Müdigkeit und Trauer,
endet jegliche Geschichte.
Alles macht die Zeit zunichte.
Mit der Zeit wird niemand schlauer,
da das kein Geschöpf auf Dauer
aushält, dieses stete Enden,
diese Leere in den Händen,
so voll Müdigkeit und Trauer.
Was es alles gibt
Es gibt so etwas
wie eine Hand
Es gibt so etwas
wie eine Axt
Es gibt so etwas
wie einen Griff
Es gibt so etwas
wie einen Schlag
Gibt es so etwas
wie keinen Finger?
Ein Haus
Das hast du stets gewußt,
daß es das gibt: ein Haus,
da tritt man warm hinein
und kommt erkaltet raus.
Die angelehnte Tür.
Der Lichtstrahl lockt und weist.
Der leichte Rauch besagt:
Du bist genug gereist.
»Dann geht ihr schon mal vor.
Ich komme nach, na klar.«
Noch hoffst du, daß du lügst.
Schon weißt du: Es wird wahr.
Diese Doppelgänger
Lästig, sich selber zu begegnen.
Im Lauf des Lebens häufen sich Doppelgänger.
Sie treten dir in den Weg und sagen:
Da, wo ich herkomm', würd' ich nicht hingehn.
Versteh mich nicht falsch, Chef. Das ist nur ein Vorschlag.
Aber an deiner Stelle tät' ich -
Hier brechen sie ab, denn du schiebst sie beiseite.
Das Gute ist: Man kann sie locker links liegenlassen.
Das Dumme ist: Sie behalten so verdammt oft recht.
Eigentlich immer.
Zufriedenheit
Ich sitze gern allein in vollen Zelten
wenn links ein Schluchzen
rechts ein Schelten
ein Weinen
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