Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006
vorn
und hinten so ein Stöhnen
mich mit dem Zelt, der Welt
und meinem Einsamsein versöhnen.
Amour fou in der Metzgerei Illing
Da trat die schiere Schönheit in
den Metzgerladen.
Ein Blick auf schiere Schönheit
kann ja wohl nicht schaden:
Also hinsehn.
Da schlug der pure Wahnsinn
den Beschauer.
Er wünschte sich vom
Augenblicke Dauer:
Also hinsein.
Da frug die Chefin schneidend,
was er wolle.
Da bat er stammelnd, daß
sie das entscheiden solle:
Also Eisbein.
Nichttrinklied
Das Schicksal hat es so gefügt,
daß mir am Alkohol nichts liegt.
Mich lockt nicht Bier, nicht Gin, nicht Wein -
Na ja, ein Wein, der darf schon sein.
Mich lockt nicht Korn, nicht Bier, nicht Gin -
Ist da ein Gin? Dann immer rin!
Mich lockt nicht Wein, nicht Korn, nicht Bier -
Da kommt ein Bier? Das nehmen wir!
Mich lockt nicht Gin, nicht Wein nicht Korn -
Her mit dem Korn! Und dann von vorn:
Das Schicksal hat es so gefügt,
daß mir am Alkohol nichts liegt etc.
Ungedicht
Was du nicht denkst
bleibt ungedacht
Was du nicht tust
bleibt ungetan
Steh auf und handle
denn sonst fängst
du ganz und gar mit
›unge‹ an:
Sieh deine Haare:
ungekämmt
Sieh deine Nase:
ungeputzt
Sieh deine Trägheit:
ungehemmt
Sieh deine Chancen:
ungenutzt
Sieh deine Treppe:
ungefegt
Sieh deine Kinder:
ungewollt
Sieh deine Eier:
ungelegt
Sieh deine Rubel:
ungerollt
Sieh deine Muskeln:
ungestählt
Sieh deine Fäuste:
ungeballt
Sieh deine Ängste:
ungezählt
Sieh deine Zukunft:
ungestalt
Sieh deine Tränen:
ungeweint
Sieh deine Glieder:
ungeschlacht
Sieh deine Worte:
ungereimt
Sieh deine Taten:
unbedacht.
Der Insistierende
Ja – nehmense nur mal die Linde.
Großes Blatt, kleine Blüte. Ich finde,
die blüht zwar nur kurz, doch besessen,
da könnse das Blatt glatt vergessen.
Na klar. Ohne Blatt keine Blüte.
Ich rede nur so in die Tüte.
Und weiß auch: Ein jegliches Glänzen
hält sich natürlich in Grenzen.
Und doch ist das Blühen das Wahre.
Das Blatt ist – na, noch nicht ganz Bahre,
doch schon hart am Rand jeder Reife,
auf die ich verdammt noch mal pfeife.
Ach kommse mir nicht mit der Nummer,
Leben sei Freude und Kummer.
Erzählense das Ihrem Kinde.
Nein – nehmense nur mal die Linde…
Gut drauf
Dinge gibt's, die verlernt man nicht
Zum Beispiel das Eieressen
So lange kein Ei mehr gegessen
Und dann lief's wie geschmiert:
Die Spitze eingeschlagen
Die Schale weggepellt
Das Salz aufs Ei getan
Das Ei verspeist.
»Nein, mein Freund, es ändert sich nichts
Ja, mein Freund, das solltest du feiern
Du, mein Freund, bleibst die Summe deiner Fähigkeiten
Bis ans, mein Freund, Ende deiner Tage.
Aber bis das mal kommt
Aber bis das erst mal kommt
Aber bevor das erst mal kommt:
Hau drauf! Und immer:
Voll auf die Eier!«
Goldene Worte
Drei bis vier Leben gelebt,
keines, das meins war,
und alle simultan -
heut ist mir eins klar:
Biographie meint nicht
›Bleibe du selber‹.
Ochswerden, Ochsesein
ist was für Kälber.
Ist dir dein Leben lieb,
leb aus dem Vollen.
Wer dich nur einmal will,
hat nichts zu wollen:
Halte dich querfeldein.
Meide die Herden.
Pfeif auf ein eignes Ich,
und du wirst gleichzeitig
Dachs bleiben, Windhund sein
und Löwe werden.
Amnesie
1
Viele schöne Dinge sah ich
Inseln aus dem Wasser ragen
Freunde, ihr könnt mich erschlagen
Wenn ich ihre Namen kenne.
Tiere sah ich auf den Klippen
Vögel durch die Lüfte schweben
Alles würde ich drum geben
Wüßte ich noch, wie sie hießen.
Jemand sah an meiner Seite
All die Tiere, all die Orte
»Worte, Worte, nichts als Worte«
seufzte sie, wenn ich benannte.
2
Vermutlich habe ich auch Seehunde gesehen.
Mit Sicherheit Gemsen.
Sie grasten im Tal. Seelenruhig. Wie Kühe.
Blöde Bande.
Vieles wird undeutlich mit den Jahren.
Manches ununterscheidbar.
Die habe ich geliebt? Den gehaßt?
Oder vice versa?
3
Ja, das war's wohl. Mehr ist nicht zu sagen.
Sonst noch Antworten?
September in der Nidda
Herrlich ist der Anblick heller Flüsse
Darin sich die dunklen Bäume spiegeln
Groß und schwankend, während fahle Blätter
Vielfach quer durch ihre Kronen schwimmen.
Welch ein klares Blau liegt dem zugrunde!
Unbeirrbar zieht ein fernes Flugzeug
Eine weiße Spur, bis bunte Menschen
Sie kopfüber radelnd löschen. Herrlich.
Schön und gut und klar und wahr
Da sind diese vier weißen Tauben,
die sich in das Blau des Himmels schrauben.
Sie leuchten sehr auf beim Steigen,
um sich
Weitere Kostenlose Bücher