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Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006

Titel: Gesammelte Gedichte: 1954 - 2006 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gernhardt
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F. Kafka
    Das Leben ist ein Fenster,
    in dem du kurz erscheinst.
    Mit deinem Auftritt öffnet sich
    das Fenster jenen Augenblick,
    der deiner Rolle zugedacht,
    dann wird es wieder zugemacht,
    wie du auch fluchst und greinst:
    Dein Leben ist ein Fenster,
    in dem du kurz erscheinst.
    Auf deinen Auftritt wartet hier
    kein Inspizient, kein Regisseur,
    kein Stichwort, kein Szenarium,
    kein Text, auch ist das Publikum
    viel kleiner, als du meinst:
    Dein Leben ist dies Fenster,
    in dem du kurz erscheinst.
    Zu deinem Abtritt nur so viel:
    Wenn mal das Rampenlicht erlischt,
    dann ist der Vorgang hausgemacht,
    der Pförtner hat es ausgemacht,
    nach Plan, nicht nach Verdienst:
    Dein Leben war dies Fenster,
    in dem du kurz erschienst.
    Ross und Reiter
    Ich fühl mich meinem Leben so verbunden
    wie einem Stein, der mir in freiem Falle
    vorausstürzt und den Weg weist: Da geht's weiter.
    Ich und der Stein, wir sind uns sehr verbunden.
    Solang wir fallen, sind wir Weggefährten,
    ein eingespieltes Paar wie Roß und Reiter.
    Der Stein ist dergestalt mit mir verbunden,
    daß uns ein Schicksal eint, das man auch Strick nennt.
    Wenn ich von dem nicht loskomm, das wird heiter.
    Doch was da fällt, bleibt bis zum Schluß verbunden.
    Stumm stürzt das Roß. Verstummend folgt der Reiter.
    Erst als er merkt: Ich fall ja gar nicht mehr – da schreit er.
    Es, es, es und es
    Es ist nicht schön, wenn man begreift:
    Du bist nur gealtert, du bist nicht gereift.
    Es tut nicht gut, wenn man bemerkt:
    Die Zeit hat nur deine Schwächen verstärkt.
    Es führt nicht weit, wenn man erkennt:
    Was du auch anfängst, es ist der Anfang vom End.
    Es baut etwas auf, wenn man bedenkt:
    Mit dem Tod bekamst du das Leben geschenkt.
    Ein Glück
    Wie hilflos der Spatz auf der Straße liegt.
    Er hat soeben was abgekriegt.
    Da hebt das den Kopf, was erledigt schien.
    Könnten Spatzen schreien, der hätte geschrien.
    Der hätte gebettelt: Erlöse mich.
    Der Erlöser wäre im Zweifelsfall ich.
    Ist sonst niemand da, die Straße ist leer,
    der Wind weht leicht, und der Spatz macht's mir schwer.
    Wen leiden zu sehn, ist nicht angenehm.
    Wenn wer sterben will, ist das sein Problem.
    So red ich mir zu und geh rascher voran.
    Ein Glück, daß ein Spatz nicht schreien kann.
    Litanei vom Schmerz
    Profunder Schmerz
    Wir wickeln und wickeln
    profunden Schmerz in lindernde Tücher:
    Ein Tuch nennt sich Gift
    wir wickeln und wickeln
    wir dämpfen den Schmerz
    und wickeln, wir wickeln
    Ein Tuch nennt sich Geist
    wir wickeln und wickeln
    wir deuten den Schmerz
    wir wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Lust
    wir wickeln und wickeln
    wir würzen den Schmerz
    und wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Form
    wir wickeln und wickeln
    wir binden den Schmerz
    und wickeln, wir wickeln
    Ein Tuch nennt sich Sex
    wir wickeln und wickeln
    wir schärfen den Schmerz
    wir wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Crime
    wir wickeln und wickeln
    wir feiern den Schmerz
    und wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Sport
    wir wickeln und wickeln
    wir fordern den Schmerz
    und wickeln, wir wickeln
    Ein Tuch nennt sich Geld
    wir wickeln und wickeln
    wir süßen den Schmerz
    wir wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Tat
    wir wickeln und wickeln
    wir bannen den Schmerz
    und wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Kunst
    wir wickeln und wickeln
    wir schönen den Schmerz
    und wickeln, wir wickeln
    Ein Tuch nennt sich Zeit
    wir wickeln und wickeln
    wir löschen den Schmerz
    wir wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Ich
    wir wickeln und wickeln
    wir horten den Schmerz
    und wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Du
    wir wickeln und wickeln
    wir teilen den Schmerz
    und wickeln, wir wickeln
    Ein Tuch nennt sich Glück
    wir wickeln und wickeln
    wir leugnen den Schmerz
    wir wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Ruhm
    wir wickeln und wickeln
    wir adeln den Schmerz
    und wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Staat
    wir wickeln und wickeln
    wir rühmen den Schmerz
    und wickeln, wir wickeln
    Ein Tuch nennt sich Nichts
    wir wickeln und wickeln
    wir steigern den Schmerz
    wir wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Gott
    wir wickeln und wickeln
    wir krönen den Schmerz
    und wickeln und wickeln
    Ein Tuch nennt sich Tod.
    Enttarnt
    Durch einen Fehler im Weltenplan
    lockerte sich mein Schneidezahn.
    Da schoß es mir eiskalt durch den Sinn:
    Wie, wenn ich nicht unsterblich bin?
    Da schien mir urplötzlich sonnenklar,
    daß ich ein endliches Wesen war.
    Da war ich schlagartig gewarnt:
    So habe ich

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