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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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Tag. Auf den Wanderstöcken der beiden hatte irgendetwas mit »Trail« gestanden. »Wandern« sagt heute niemand mehr. Im »Oxford Advanced Learner’s Dictionary of Current English«, herausgegeben von einem Herrn A.S. Hornby, kann man einige Umschreibungen für die gebräuchlichsten Wander-Anglizismen nachschlagen.
     
    Trail
- path through rough country.
Na ja, als »rough country« würde ich die deutschen Mittelgebirge nicht bezeichnen.
     
    Trek/Trekking
– make a long, hard journey.
So lange und hart wird es in Deutschland nicht.
     
    Hike/Hiking
– long walk in the country, taken for pleasure or exercise.
Ja, das kommt dem deutschen Wort »Wandern« schon näher, zumindest das »walk for pleasure«. »Walk for exercise« heißt hierzulande eher »Marsch« und ist zudem historisch vorbelastet.
     
    Walk/Walking
– move by putting forward each foot in turn, not having both feet off the ground at once.
Danke, Herr Hornby. Ich werde in Zukunft darauf achten, mit |74| mindestens einem Fuß auf dem Boden zu bleiben. Die neue Hip-Variante des Walking ist übrigens das »Nordic Walking«, frei übersetzt »Nordisches Nicht-mit-zwei Füßen-gleichzeitig-den-Boden-Verlassen«. Ich finde das nicht so schön und sage weiter »Wandern«.
     
    Nun wollte ich zu den Quellen. Die Vorfreude kulminierte in dem Schlachtgesang »Wir woll’n die Quellen sehn, wir woll’n die Quellen sehn, wir woll’n wir woll’n, wir woll’n die Quellen sehn«, den ich lauthals durch den Wald grölte.
     
    Mein Gesang war kein korrektes Wanderverhalten, da sich der Wanderer zum Schutz des Wildes still verhalten soll. Aber das war mir in diesem Moment egal, und der Wander-Hooligan brach aus mir heraus. Den Song »Wir woll’n die Quellen sehn« entlehnte ich dem alten Fußballgassenhauer »Ihr könnt nach Hause gehn«, der sich im Erfolgsfall an die gegnerischen Fans richtet. Wenn es nicht so gut läuft, heißt es »Wir woll’n euch kämpfen sehn« als Aufforderung an die eigene Mannschaft. Es ist schön beim Solo-Wandern, dass ich oft stundenlang durch den Wald laufe, laut pfeifen und singen kann, ohne dass mich ein Mensch hört. Das ist – Achtung! – mein Pfeifen im Wald. Häufig, und das ist wirklich unangenehm, kriegt man die gesungenen Lieder nicht mehr aus dem Kopf. Das mag am monotonen Gehen liegen. Aber so ein Wanderohrwurm kann ganz schön nerven. Die stumpfe Melodie des Fußballsongs sollte mich noch bis zum Ende begleiten, obwohl ich da schon alle Quellen gesehen hatte.
     
    |75| Im Rothaargebirge sind die Quellen etwas Besonderes, weil es auf einer Wasserscheide liegt. Auf der einen Seite des Gebirges entspringen die Flüsse, die in den Rhein fließen, wie zum Beispiel Sieg und Lahn, auf der anderen Seite liegen die Quellen von Eder und Röspe, die in die Weser münden. Die meisten deutschen Mittelgebirge quellen nur für einen Strom. Alles Feuchte, was zum Beispiel der Eifel entspringt, landet entweder direkt oder indirekt (über die Mosel oder die Maas) im Rhein. Es gibt also einstromige und zweistromige Gebirge. Ein anderes zweistromiges Mittelgebirge ist die Schwäbische Alb, die auf der einen Seite durch viele Neckarzuflüsse den Rhein und auf der anderen Seite die Donau bedient.
     
    Von der Dillquelle sah ich als Erstes einmal eine Schutzhütte und einen Grillplatz mit kostenlosem Grillholz. Unterhalb des Rastplatzes befand sich eine Naturstein-Einfriedung, eine einfache Backsteinmauer mit einem dünnen Röhrchen in der Mitte, aus dem die ersten Tropfen der Dill kommen. Ich fand die Vorstellung faszinierend, wie lang der Weg dieser ersten Tropfen sein würde und wie viele Dörfer und Städte sie passieren würden. Die Dill fließt durch Dillbrecht, durch Haiger mit der aus Staumeldungen bekannten Autobahnausfahrt Haiger/Burbach, durch Dillenburg, Herborn und Wetzlar. Hier lernte Goethe den Kammergerichtsassessor Karl-Wilhelm Jerusalem kennen, der sich aufgrund einer unerwiderten Liebe umbrachte und so zum Vorbild des literarischen Werther wurde. In Wetzlar mündet die Dill in die Lahn.
    Ich habe die Dill an der Quelle probiert und sie schmeckte sehr gut. Das Wasser war aber so kalt, dass ich |76| nach der Dill-Verkostung meine Handschuhe anziehen musste. Überhaupt war ich gut beraten gewesen, warme Sachen mitzunehmen. In Köln waren die Temperaturen in diesen Märztagen auf vorsommerliche 20 Grad gestiegen. Aber der Videotext des WDR hatte in seinem Wetterdienst angekündigt, dass es im Bergland von NRW zwar

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