Gesammelte Wanderabenteuer
sonnig, aber nur um die 12 Grad warm werden sollte. Dazu kam oben auf dem Wanderweg ein böiger Wind. Fleecejacke und Wollmütze hatte ich seit Beginn an, nun also auch die Handschuhe.
Nach der Dillquelle zog sich der Rothaarsteig kilometerlang über einen Gebirgskamm. Auf diesem Höhenweg verläuft auch eine Loipe. Ich war froh, dass kein Schnee mehr lag. Skilangläufer auf einem Wanderweg stelle ich mir ungefähr so toll vor, wie auf einem asphaltierten Feldweg einem Rollerblader zu begegnen. Es gibt Fortbewegungsarten, die einfach nicht kompatibel sind.
Eine Tafel am Wegesrand erzählte von der Vergangenheit des Höhenwegs: Entlang des Bergkamms verläuft die Sprachgrenze zwischen dem west-niederdeutschen und dem hessisch-mitteldeutschen Sprachgebiet. Hier trennt sich also sozusagen Millowitsch von Heinz Schenk.
In der Mitte des ungefähr vier Meter breiten Weges fanden sich häufig Stolpersteine. Doch das musste so sein, denn sie markieren die Grenze zwischen dem kurkölnischen Sauerland im Westen und der Grafschaft Wittgenstein im Osten. Von einer großen Schlacht im oder am Rothaargebirge ist mir nichts bekannt, also gehe ich davon aus, dass es zwischen dem kurkölnischen und dem Wittgensteiner Volk weitgehend friedlich zuging.
|77| Der Höhenweg war aber nicht nur ein Grenzweg. Er war einst ein jahrtausendalter Wirtschaftsweg. Zum einen wurde hier Erz abgebaut. Wissenschaftler sind sich nicht einig, ob der Name des Gebirges von dem roten Erscheinungsbild des Rotbuchen-Waldes abgeleitet wurde oder von der rötlichen Färbung des Eisenerzes kommt. Dieses Erz ist der Grund, warum schon vor etlichen hundert Jahren im Siegerland Eisenhütten entstanden und dieser Landstrich ein Eldorado der Eisenerzeugung war. Von den Tälern, die sumpfige Auenlandschaften waren, wich man auf die Höhenwege aus, wo sich das Erz relativ problemlos transportieren ließ. Zum Eisenmachen brauchte man aber nicht nur Erz, sondern auch Kohle. Ich ging nicht nur auf einer Sprachgrenze, einer politischen Grenze, einer Wasserscheide und auf einem Ex-Erzweg, sondern auch auf einem Kohlenweg. Bevor die Steinkohle im Ruhrgebiet und die Braunkohle von Garzweiler II entdeckt war, musste die Holzkohle glühen. Wenige Meter abseits des Rothaarsteigs kann man heute noch eine Nachbildung eines Köhlerzelts und eines Köhlers sehen. Im Köhler brannte Tag und Nacht das Feuer, damit das Holz zur Holzkohle wurde. Daneben stand ein »Zelt«, aus dünnen Ästen und Lehm gebaut. Dieses »Zelt« hieß Köthe. Köthe als Wort kannte ich gar nicht. Die Köthe schützte den Köhler, der das Feuer bewachte, vor Regen und Wind. Dabei war sie so klein, dass er höchstens im Stehen darin schlafen konnte. Aber er sollte ja auch auf das Feuer aufpassen und nicht schlafen. Ein hammerharter Job, und das alles auch noch ohne Gewerkschaften.
Ich war nun ungefähr 15 Kilometer gewandert und fühlte mich richtig gut. Ich schwebte mehr, als dass ich |78| wanderte. Ich war glücklich. Solche Wandererhochgefühle sind nicht selten. Das Glücksgefühl und der Rauschzustand des Läufers heißt »runners high«. Schon wieder ein unnötiger Anglizismus. Gemeint ist die Endorphin-Ausschüttung beim intensiven, fast meditativen Laufen. Das »Wanderhoch« ist dagegen leichter und öfter zu haben, wenn der Weg schön ist. Es ist natürlich wichtig, lange Strecken zu wandern, um in diesen komatösen Rauschzustand zu gelangen. Man darf sich da nichts vormachen: Ich beschreibe in diesem Buch die eine oder andere Abwechslung unterwegs: hier eine Burg, da eine Mühle oder eine Quelle. Die meiste Zeit aber sieht man viele Bäume und marschiert öde voran. Doch diese Eintönigkeit hat eine ganz eigene Qualität. Die Monotonie bläst das Gehirn frei. Und wenn dann ein toller Ausblick kommt, der Weg endlich bergab geht oder sich der Gasthof nähert, dann – zack! – kommen die Endorphine. Das ist ein Grund, warum ich gerne allein unterwegs bin. Klar, es gibt auch Vorteile zu mehreren, mit dem Partner, der Familie oder den Freunden zu wandern, aber jene meditative Wanderstimmung stellt sich in diesen Fällen seltener ein und wird durch zu viel Kommunikation gestört.
Anscheinend kennen aber viele Wanderer nicht die Vorteile des Allein-Unterwegs-Seins. Ich traf an diesem Tag immer nur auf Pärchen. Insgesamt acht, bis auf zwei ältere Herren alle gemischtgeschlechtlich. Mir fiel auf, dass eines der Wanderpärchen (auch mit Stöcken unterwegs) sehr jung war. Ich würde
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