Gesammelte Wanderabenteuer
schätzen, dass die beiden um die zwanzig Jahre alt waren, womit sie das Durchschnittsalter der anderen Pärchen erheblich senkten. Sie hatten praktische Wanderklamotten neueren Datums in |79| gedeckten Farben angezogen und waren mit zwei größeren Rucksäcken anscheinend mehrere Tage auf dem Rothaarsteig unterwegs. So wie diese Wanderer, jung, gut aussehend, wohlhabend und klug, stellten sich die Macher des »Weges der Sinne« wahrscheinlich die Prototypen des »Neuen Wanderns« vor.
Um die ging es wahrscheinlich auch, als ein Kilometer vor der Lahnquelle die Wegführung ein bisschen albern wurde. Der schnellste Weg zur Lahnquelle ist eine asphaltierte Kreisstraße. Um jetzt aber die Freuden des »neuen Wanderers« nicht durch unnötigen Lärm zu trüben, wurde ein neuer Pfad im Wald neben der Straße angelegt. Dieser Pfad schlängelt sich ein bis drei Meter neben der Straße entlang. Ich musste höllisch aufpassen, dass ich mich nicht am überaus reichhaltig vorhandenen Wurzelwerk verfing und mir einen Bänderriss zuzog.
Aus meinem Wanderführer wusste ich von zwei gastronomischen Betrieben an der Lahnquelle. Der Hunger trieb zur Eile und mich schließlich auf die Kreisstraße. »Weg der Sinne« hin oder her, das brachte mich jetzt schneller zur Mittagsvesper.
Es ist ganz praktisch, dass es so genannte »Qualitätsbetriebe« am Rothaarsteig gibt. Diese Hotels und Gasthöfe sind speziell auf Wanderer und ihre Bedürfnisse eingerichtet. Hier kann man zum Beispiel seine Schuhe säubern. Eine ungewöhnliche Serviceleistung, die den normalen Gastwirt schon bei dem Gedanken an die vielen hartnäckigen Lehmklumpen um den Verstand bringt. Es gibt auch die Möglichkeit, Wanderschuhe und -rucksäcke auszuleihen. Unterkünfte, die nicht direkt am |80| Wanderweg liegen, haben einen Shuttle-Service, der den Wandertourist zum Rothaarsteig bringt und abholt. Ich habe bisher noch nicht ausprobiert, ob das auch immer und überall in der Praxis funktioniert, aber es hört sich schon mal ganz gut an.
Im Forsthaus »Lahnquelle« bestellte ich Nudeln mit gebratenen Scampis und einen Beilagensalat und bekam Nudeln in Pesto-Sahne-Krabben-Sauce. So was kann passieren. Weil die Sahne-Nudeln billiger waren als die Scampi-Nudeln, habe ich nichts gesagt. Ich reklamiere sowieso nicht gerne.
Weil es drinnen in der Gaststube etwas stickig und verqualmt war, setzte ich mich nach draußen, mit Blick auf die Lahnquelle. Das war Ende März viel zu kalt, aber ich hatte auch meinen Stolz und ging nicht wieder hinein. Die Lahnquelle selber kann man im Unterschied zur Dillquelle nur ungefähr erkennen. Sie beginnt mit einer Art kleinem Tümpel. Von diesem Tümpel aus macht sie sich dann auf ihren 240 Kilometer langen Weg Richtung Rhein und fließt dabei durch Biedenkopf, Marburg, Gießen, Wetzlar, Weilburg. Übrigens ein wunderschönes Städtchen, das aber aufgrund seiner Nähe zu Limburg oft übersehen wird. Sollte man aber mal hinfahren. Weiter fließt die Lahn durch Limburg, mit seinem berühmten Dom, den man von der A3 und der ICE-Neubaustrecke Köln-Frankfurt aus sehen kann. Dann kommt Nassau. Von diesem Ort leitet sich der Begriff des »Nassauers« bzw. das »Nassauern« ab. Der »Nassauer« versucht sich einen Vorteil zu verschaffen, ohne dafür aufzukommen. Der Legende nach waren die Nassauer so arm, dass sie sich keine eigene Universität leisten konnten. Daher wurden die Nassauer Studenten nach Göttingen |81| geschickt. Als Ausgleich für die Unannehmlichkeit, immer nach Göttingen pendeln zu müssen, richtete der Herzog von Nassau in der Göttinger Mensa einen Freitisch für die Nassauer Studenten ein, an dem sie umsonst verköstigt wurden. Das nutzten wiederum finstere Gestalten aus, die gar nicht aus Nassau kamen und trotzdem freie Kost wollten. Diese Lumpen waren dann »Nassauer«: Also nicht die Original-Nassauer sind die Nassauer, sondern die, die die Nassauer ausnutzten, sind die Nassauer.
Später erreicht die Lahn das Kurbad Bad Ems mit seiner Blütezeit im 19. Jahrhundert. Berühmte Kurgäste waren Richard Wagner, Kaiser Wilhelm I., Zar Alexander II. und andere Russen wie Dostojewski und Gogol. Bad Ems war das Modebad der Franzosen. Eine Pariser Boulevardzeitung schrieb: »Bad Ems ist die Perle der Thermalbäder und der Vergnügungsturm zu Babel.« An der Lahn war echt was los.
Und schließlich erreicht die Lahn kurz vor ihrer Mündung in den Rhein Lahnstein. Die Scharping-Stadt. Hier ging der Fast-Bundeskanzler und
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