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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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abgehängt hatten. Es würde zum erwarteten Zweikampf der alten Rivalen Manuel Ullrich und Victor Armstrong kommen. Heute ging es um viel. Es |132| ging um alles. Diese Bergankunft konnte die ganze Tour entscheiden. Der psychologische Vorteil des Siegers gegenüber seinem Konkurrenten wäre wahrscheinlich nicht mehr aufzuholen. Die beiden Wander-Titanen waren jetzt ganz auf sich allein gestellt. Keiner der treuen Helfer hatte dieses höllische Tempo mithalten können. Dann die letzten Meter zum Gipfel des Großen Winterbergs – das sächsische Alpe d’Huez, wie sich die Wanderkenner mit Ehrfurcht zuraunten.
    Victor verlor an einer Kreuzung kurz die Orientierung. Manuel Ullrich kannte das Höhenprofil der Etappe in- und auswendig. Ohne auf Schilder zu achten, zog er den Aufstieg hinauf, überholte Victor und war jetzt drei Schritte vorne. Manuel verschärfte das Tempo. Victor hatte Mühe zu folgen. Noch 1000 Meter bis zum Ziel. Manuel startete eine Attacke. In seinem Nacken hörte er den Kontrahenten keuchen. Manuel nahm wieder ein wenig Tempo heraus. Die Grundgeschwindigkeit war |133| aber für eine Wanderung bergauf immer noch höllisch. 300 Meter später die nächste Attacke. Manuel schaute Victor mitten ins Gesicht. Wie viel hatte der Junge noch drauf? Gnadenlos arbeiteten die Beine der beiden. 200 Meter vor dem Ziel die Schlussattacke von Manuel. Hinter ihm bringt Victor ein gekeuchtes »Vergiss es« hervor, aber Manuel wusste, dass er noch einiges zulegen konnte. 100 Meter vor dem Ziel verfiel Manuel in den Wiegeschritt der professionellen Geher, bis er die letzten Meter durchs Ziel sprintete. Victor war geschlagen. Einige Meter hinter seinem Bezwinger trudelte er ins Ziel. Ein schwerer Tag für Victor Armstrong, ein großer Tag für Manuel Ullrich, ein großer Tag für den Wandersport.
    |132|
    Victor geschlagen am sächsischen Alpe d’Huez
    |133| Um 17:07 waren wir oben angekommen und gönnten uns nach unserem Bergrennen eine große Apfelsaftschorle. Victor war ein fairer Verlierer. Die Tatsache, dass er während des Aufstiegs den Rucksack hatte tragen müssen, führte er äußerst selten als Grund für seine Niederlage an. Eigentlich fast überhaupt nicht.
     
    Es waren nun noch zwei Kilometer bergab zu bewältigen. Über 400 Höhenmeter gingen wir endlose Treppenstufen bergab. Wir kamen uns vor wie in einem schlechten Traum: Es hatte geklingelt im Haus, und nun war man auf dem Weg durchs Treppenhaus nach unten. »Komme schon«, »Bin gleich da« – es klingelt wieder –, »Ja, ja«, »Minütchen« – aber das Treppenhaus wollte und wollte nicht enden. Schrecklich.
     
    Endlich erreichten wir Schmilka, ein kuscheliges Dörfchen an der Elbe, direkt an der tschechischen Grenze.
    |134|
    Sächsische Wanderweisheit
    Ähnlich kuschelig waren auch die Müller-Sprüche an den dortigen Mühlen:
    »Ein Mühlstein und ein Menschenkind
    Wird stets herumgetrieben
    Wenn beides nichts zu reiben hat
    Wird beides selbst zerrieben«
    und
    »Wenn ich eine Mühle hätt
    Und ein schönes Weib im Bett
    Und dürfte keine Steuern zahlen
    Würd ich ohne Sorgen mahlen«
    |135| In einer Gaststätte mit Außenterrasse an der Elbe warteten wir auf die Fähre, die uns zur S-Bahn am anderen Flussufer bringen sollte.
    Victor hatte keine Lust, so lange zu warten. Er stellte sich mit aufgerecktem Anhalter-Daumen an den Straßenrand. Ich blieb an meinem Platz sitzen. Ich wettete mit ihm, dass auf die Länge eines herrlich kühlen Weizenbieres kein Auto anhalten würde. So wiesen auch die meisten Autofahrer Victors Anhalter-Wunsch brüsk zurück. Zwei junge Damen kicherten in sich hinein, fuhren dann aber schnell weiter. Beim letzten Drittel des Weizens bekamen wir ein Angebot vom Pärchen am Nebentisch: bis nach Bad Schandau könnten sie uns mitnehmen.
     
    Die beiden waren um die 30 Jahre alt und kamen aus Dresden. Sie waren gerade in Tschechien tanken gewesen. Der junge Mann war ein ausgesprochener Schnäppchenjäger. Er hatte Turnschuhe für 9 Euro 99 Cent an den Füßen und bei Aldi Wanderschuhe für 22 Euro erstanden. »Luftgepolstert, mit allem Piff und Paff. Aber man kommt ja so selten zum Wandern.« Obwohl der Sachse, so lernten wir, sehr gerne wandert und sogar in der freien Natur übernachtet.
    Für diese Übernachtungen sucht man sich in der Felslandschaft geeignete Überhänge. Dann legt man sich auf den nackten Stein und deckt sich gewissermaßen mit dem über einem befindlichen Riesenfels zu. Nach zwei Flaschen Whiskey sei

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