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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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wir die beiden.
    Victor muss mal wieder dehnen!
    Das einzige Geheimnis, welches die Karte den beiden Radlern hätte verraten können, war, dass hier Radfahren verboten war. Und wäre es nicht verboten, so wäre Fahrradfahren hier vollkommen unsinnig. Der Wanderweg endete nämlich nach zwei Kilometern. Die Schlucht wurde so eng und felsig, dass schlicht und einfach kein Platz für einen Fußweg mehr vorhanden war, sondern sie mit einem Boot durchquert werden musste. Ich fand das großartig: eine kombinierte Fuß- und Bootstour. Übersetzt für die Walker heißt das: trail and shipping.
     
    |142| Den Namen hat der Weg und die Klamm von Edmund Clary-Aldringen. Er muss ein verrückter Kauz gewesen sein. Der alte Edmund lebte von 1813 bis 1894. Wahrscheinlich entdeckte er im Alter seine romantische Ader und hatte die Idee, das Gebiet um die Klamm touristisch zu erschließen. Er baute mit Hilfe von 200 italienischen Bergweg-Spezialisten den Wanderweg und staute an zwei besonders engen Talpassagen den reißenden Gebirgsfluss Kamenice. An diesen Stellen wäre eine Fortführung des Wegs zu riskant gewesen, sodass Fährboote eingesetzt wurden. Am 4. Mai des Jahres 1890 war es so weit: Der Kahnverkehr in der Edmundsklamm nahm seinen Betrieb auf.
     
    Und genau 114 Jahre und einen Tag später setzten sich auch Victor und ich in den schaukelnden, grün gestrichenen Kahn. Der Fährmann hatte uns schon von weitem kommen sehen. Mit Winkzeichen hatte er uns zu verstehen gegeben, dass er bald abzulegen gedachte und wir uns etwas sputen sollten, um noch mitzukommen. Wir bezahlten an einem kleinen Kassenhäuschen unseren Fährzoll in Euro, wie man es im grenznahen Tschechien überall tun kann. Hoffentlich gilt das bald auch für ganz Tschechien. Wenn schon Europa, dann auch richtig.
    Das Boot hatte Platz für ungefähr 18 Personen. Außer uns war noch eine achtköpfige sächsische Wandergruppe mit rüstigen Senioren an Bord. Der Fährmann ließ uns Platz nehmen und schob das Boot vom Steg aus an. Er winkte uns zum Abschied und rief fröhlich: »Selbstbedienung, Außenbordmotor ist von Mercedes.« Im letzten Moment sprang er aber doch noch ins Boot und griff nach einer langen Holzstange, um uns wie ein böhmischer |143| Gondoliere mit stakenden Bewegungen flussaufwärts zu bringen.
    Unser Fährmann in der Klamm mit rüstigen sächsischen Rentnern
    Unser Fährmann sprach ein wunderbares böhmisches Deutsch und erinnerte in Statur und Gesichtsform an einen listigen tschechischen Schwejk. Der Mann war ein begnadeter Entertainer und Reiseführer. In den nächsten 20 Minuten der Überfahrt bot er uns ein Comedy-Programm mit einer Gag-Dichte, um die ihn die meisten deutschen Fernseh-Comedians beneidet hätten.
    Hier einige Auszüge aus seinem Programm, und ich schwöre, er hat so geredet:
    Mit den Füßen brachte er das Boot kräftig zum Schaukeln. Die Senioren kreischten. Er sagte: »Machen jetzt Äskimo-Rolle.«
    »Klamm ist sich hier vier Mätär tief: Zwei Mätär rechts, zwei Mätär links.«
     
    |144| An bestimmt 20 verschiedenen, skurrilen Felsformationen schulte er unser Vorstellungsvermögen: »Mit bisschen Phantasie Sie sehen oben rechts Teufelskopf mit streckt die Zunge raus. Daneben ist sich Affenkopf und gleich daneben Kopf von Breschnew.« Manche Gags waren vor 20 Jahren im sozialistischen Alltag wahrscheinlich noch explosiver gewesen.
    »Müssen sich alles vorstellen mit viel Phantasie. Wenn keine Phantasie: An Endhaltestelle ist sich Restaurant. Dort trinken zwei Bier und zwei Becherovka (tschechischer hochprozentiger Kräuterlikör, der Jägermeister aus Karlsbad). Bei Rückfahrt dann viel Phantasie.«
    »In Edmundklamm fahren sich 20% Tschechen, 20% Russen und 60% Deutsche, an Pfingsten 100% Deutsche und an Vatertag 120% Deutsche und 100% Alkohol.«
    »In Edmundsklamm viele Fische: Lachse, Forellen, Piranhas, ein Alligator.«
     
    Auf der linken Seite erschien ein Felsen. Aus fünf Meter Höhe ergoss sich in einem dünnen Rinnsal ein Wasserfall in den Fluss. Der Fährmann zog an einem Seil, und eine aufgestaute wilde Wasserfontäne schoss nun auf das Boot zu, verfehlte es aber knapp. Die Seniorentruppe kreischte wieder, und der Fährmann murmelte etwas von Männertoilette.
     
    An einer anderen Stelle fuhren wir ganz nahe an eine feuchte Felswand heran, an der Wasser herabperlte. »Ist sich Lebenswasser.« Die sächsischen Rentner fingen das Wasser mit ihren Händen auf und schlürften. Unser Fährmann ergänzte: »Unten

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