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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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Nummer sicher zu gehen. Bei einer Kinderwanderung möchte ich ein sicheres Dach am Ende des Tages über dem Kopf haben. Vor allem, da ich ja schon meine Hunsrück-Übernachtungs-Erfahrungen gemacht hatte.
    Das Hotel »Forellenzucht« ist genau richtig für alle, die gerne frische Forellen essen und denen es nichts ausmacht, dass der Hund des Hauses einem um die Beine streicht. Die Besitzer sind nett und man hat sofort Familienanschluss. Direkt nach dem Abendessen krochen wir mit schmerzenden Beinen ins Bett. Die Kinder hatten vor allem an den hinteren Waden Muskelkater, da es größtenteils bergab gegangen war. Ich tröstete sie, dass morgen andere Muskelpartien beansprucht würden. Es sollte von der Ehrenburg nach Buchholz nur bergauf gehen.
    Die wenigen Kilometer zwischen Baybach- und Ehrbachtal wollten wir nach dem Frühstück mit dem Taxi fahren. Ich halte es in solchen Fällen mit den Tour-de-France-Fahrern, die ja auch nicht immer am Zielort der letzten Etappe starten, sondern mit dem Mannschaftsbus zum nächsten Startpunkt gebracht werden.
    Der Weg Ehrenburg-Endertklamm-Boppard-Buchholz ist eine kurze 12-Kilometer-Etappe mit Bergankunft. Wobei es sich bei dem Bergankunfts-Berg höchstens, um in der Sprache der Tour de France zu bleiben, um einen Berg der vierten Kategorie handelt.
     
    |171| 2. Tag
    Ich legte an. Ruhig lag der Pfeil in meiner Hand. Die Sehne des Bogens war bis aufs Äußerste gespannt. Ich musste treffen, das war meine einzige Chance. Ginge der Schuss daneben, wäre ich so gut wie tot – zumindest aber bis auf die Knochen blamiert vor meinen Kindern, mit denen ich gewettet hatte. Der Pfeil sirrte los und traf knapp neben das Schwarze. Na ja, für einen frühen Besuch auf der Ehrenburg ganz gut.
    Die Ehrenburg liegt auf einem Bergvorsprung über dem Ehrbachtal. Meine Lieblingsbeschäftigung auf der Ehrenburg ist das Bogenschießen. Nicht dieses Bogenschießen mit Gummipfeilen, sondern richtiges Bogenschießen mit richtigen spitzen Pfeilen und einer richtig weit entfernten Zielscheibe. Beim Bogenschießen entdecke ich immer wieder uralte Jägergene in mir. Ich hätte natürlich als alter Kriegsdienstverweigerer nie Spaß am Schießen mit Gewehr oder Pistole, weil das politisch unkorrekt und militaristischer Unfug ist, aber Bogenschießen hat das gewisse archaische Etwas – diesen Kitzel: er oder ich.
    Bogenschießen wird allerdings nur zu bestimmten Uhrzeiten angeboten, und dann ist es immer sehr voll, und alle wollen mal ran. Ich rate dazu, keine falsche Rücksicht auf Kinder und Jugendliche zu nehmen, die für gewöhnlich ewig brauchen, um einen Schuss zu platzieren. Ich drängele mich gnadenlos vor, sonst kommt man gar nicht an die Reihe.
     
    Vor drei Jahren war ich einmal Ehrenburger Tagessieger im Wettbewerb mit Pfeil und Bogen geworden. Heute war ich nicht in Form und hatte so meine Wette mit |172| Lena und Myriam verloren. Ich hatte »ums Recht« gewettet, dass ich wieder ins Schwarze treffen würde. »Ums Recht«-Wetten ist zwar eigentlich ziemlich öde, aber ich kann meinen eigenen Kindern kein Geld abknöpfen.
     
    Die Ehrenburg hat sich in den letzten Jahren zur Vorzeige-Event-Burg gemausert. Natürlich wird auch hier das historische Gemäuer vorbildlich gepflegt, aber mit öden Führungen, wie zum Beispiel auf der Burg Eltz (»In dieser Kemenate sehen Sie noch das Originalbett von Gandolf dem Schüchternen«), gibt man sich hier nicht zufrieden. Auf der Ehrenburg ist man im 21. Jahrhundert angekommen und bedient eine Herr-der-Ringe-Fantasy-Klientel. Alle Angestellten tragen ein mittelalterlich anmutendes Outfit. Die Besucher laufen durch die dunklen Gänge und Kammern, die mit Lichteffekten oft jenseits der Kitschgrenze ausgeleuchtet sind. Die Burggeschichten kommen vom Band und werden mit düster wispernder Stimme vorgetragen. Für die Kinder und Jugendlichen gibt es eine Schatzsuche. Und die Erwachsenen haben unwahrscheinlich viel Spaß auf einem mittelalterlichen Töpfermarkt und mit dem Bier aus Tonkrügen. Oder eben beim Bogenschießen. Nachdem die Kinder zu Ende geschatzsucht hatten, ging unsere Wanderung los.
     
    Ich werde von vielen Wanderern gefragt: Mensch, Herr Andrack, gibt es eigentlich einen Wanderweg, den jeder Wanderer einmal in seinem Leben gewandert sein muss? Das ist Geschmackssache: Der gläubige Mensch würde auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela bestehen (andere Gläubige gehen lieber nach Mekka). |173| Jeder hat in »seinem« Wandergebiet vor der

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