Gesammelte Wanderabenteuer
Haustür einen ganz bestimmten Lieblingswanderweg. Der Alpinist würde nicht auf die Alpenüberquerung verzichten, der Familienmensch nicht auf die Ehrbachklamm. In meiner Funktion als Vater (die nicht identisch ist mit meiner Identität als Wander-Einzelkämpfer auf 40-Kilometer-Strecken) bin ich die Ehrbachklamm sechs Mal gegangen.
An einem sonnigen Sonntag im Frühling, an dem auch Kommunion gefeiert wird, ist es in der Ehrbachklamm jedoch so voll wie in einer Fußgängerzone am letzten Samstag vor Weihnachten. Vor engen Passagen bildeten sich regelrechte Staus. Und das Schlimmste: Die Kommunionsgesellschaften verstopften die wenigen verfügbaren Restaurationen. (»Essen dauert anderthalb bis zwei Stunden.« – »Danke.«) Daher besser nie in die Ehrbachklamm an Feiertagen. Heute war das ganz entspannt. Wir haben insgesamt 91 uns entgegenkommende und überholende Personen gezählt, was für eine fünfstündige Mittelgebirgswanderung ein ganz ordentlicher Wert ist. Es waren auch größere Gruppen mit Kindern unterwegs. Einmal kamen uns drei Frauen und fünf Kinder entgegen. Da mussten die Männer wahrscheinlich arbeiten. Kurze Zeit später trafen wir zwei Frauen, einen Mann und neun Kinder. Es war nicht ersichtlich, wie sich hier die Verwandtschaftsverhältnisse zusammensetzten.
Keine anderthalb Kilometer nach der Ehrenburg täuschten Lena und Myriam eine irrsinnige Durstattacke vor. »Das kann doch nicht sein, ihr habt doch schon auf der Burg etwas getrunken!« Ich kannte den wahren Grund für den Spontan-Durst: die Pferde an der Brandengrabenmühle. |174| Kein Problem, wir setzten uns zu einem Mineralwasser nieder und schauten uns ein paar Pferde an. Die Brandengrabenmühle ist eine Reiterklause, in der sich Wanderreiter treffen und auch übernachten können. Wanderreiten ist Wandern zu Pferde. Dabei sitzt man keineswegs die ganze Zeit auf einem Gaul, sondern muss auch selber etwas tun. Erfahrene Wanderreiter haben mir berichtet, dass man ungefähr die Hälfte der Wegstrecke wirklich wandert und das Pferd hinter sich herführt, um so das Tier zu entlasten.
Zehn Minuten nach der Brandengrabenmühle sahen die Kinder die Eckmühle und hatten plötzlich Hunger. Und ein bisschen Durst auch. Warum nicht? Die Kinder aßen Pommes frites und Hühnchen-Nuggets mit Ketchup und ich einen gedeckten Apfelkuchen. Dazu tranken wir alle Apfelschorle. Um unsere Beine strichen zwei kleine Hunde. Die Kinder fanden die Hunde süß. Für mich hatten sie eher die Ausstrahlung und das Aussehen von Kampfhunden im Miniformat. Aber ich habe mich bestimmt getäuscht. Neben der Eckmühle gab es auch noch eine Weide mit vielen Lämmern, die sich aber weder durch Lockrufe noch durch Löwenzahn dazu verleiten ließen, näher zu kommen und sich das Fell streicheln zu lassen. Direkt hinter der Eckmühle fing nun endlich die Schlucht der Ehrbachklamm an.
Es war nicht besonders heiß. Vielleicht 18 Grad. Unser nächstes Ziel war eine Bank auf halbem Weg. Vorher wollten die Kinder aber endlich einmal im Ehrbach baden. Na gut. Machten wir also eine Badepause. Die Spartaner haben mit knallharten Methoden ihre Kinder |175| zu einer sehr gesunden Lebenshärte erzogen. Konnte also nicht ganz falsch sein, Lena und Myriam in das höchstens 10 Grad warme Wasser steigen zu lassen. An einer sandig-lehmigen Stelle stiegen die beiden ins Wasser. Und tauchten für zehn Sekunden bis zum Hals unter. Handtücher hatten wir natürlich nicht dabei (wir hatten doch im Hotel übernachtet). Also wurden schnell die warmen Klamotten über die nasse Haut angezogen. Das kribbelte schön.
Trotz der vielen Pausen erreichten wir nach einer halben Stunde in der Mitte der Ehrbachklamm unsere Lieblingsbank. In einem wilden Felsenensemble duckt sich diese Bank unter einem kleinen Felsvorsprung. Hier hatten wir bei früheren Wanderungen unseren Proviant ausgepackt, heute waren aber alle satt. Also habe ich auf der Bank etwas gelesen, und die Kinder sind auf den Felsen über mir herumgeklettert. Ich ließ noch die üblichen Ermahnungen los: »Schön aufpassen!« – »Ja, ja.« Wer besser aufgepasst hätte, war ich. Plötzlich hörte ich lautes Rascheln über mir und dachte, ist da ein Kind auf dem Laub ausgerutscht? Nein, ein ungefähr drei Meter langes und einen halben Meter dickes Baummonstrum stürzte auf mich herab und verfehlte meinen Kopf ganz knapp. Ich wäre fast erschlagen worden! Tot in der Klamm! Der neue Roman von Ingrid Noll! Da bringen ja auch
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