Gesammelte Wanderabenteuer
schon bedient, weil durch die zusätzlichen Kilometer meine Blasen auf die Größe von Frühstückseiern angeschwollen waren. Ich schleppte mich durch die sengende Hunsrückhitze von Dorf zu Dorf. Nirgendwo gab es etwas zu essen, nirgendwo etwas zu trinken. Entnervt gab ich auf und fuhr mit dem Bus nach Kirn an der Nahe. In dieser Gegend kann man das Autokennzeichen KH (Bad Kreuznach) bewundern, das von den umliegenden Gemeinden liebevoll mit »Kein Hirn« übersetzt wird.
Genug des Hunsrückhöhenweg-Dissings, auf den paar Kilometern im Baybachtal ist er sehr schön. Wir blieben aber im Tal bei unserem B, während der H-Weg den Berg hinaufführte. Den kommenden Abschnitt kannte ich nicht. Ich war sehr überrascht, dass es über mehrere Kilometer noch einmal so richtig laracroftig und wanderig wurde. Es ging hoch und runter, wir kletterten über Felsen und durch das Geäst von umgestürzten Bäumen. Lena knickte leicht mit dem Fuß um. Der Schmerz war groß, aber Myriam und ich verschränkten unsere Arme und organisierten einen Verletztentransport, indem wir Lena, die bequem auf unseren Armen saß, trugen. Das schafften wir bestimmt 20 Meter. Dann gab es noch Zauberpuste auf den umgeknickten Knöchel, einmal feste auftreten, und weiter ging’s. Ich hatte entgegen dem Rat meiner Frau mal wieder kein Handy für Notfälle mitgenommen. Später im Hotel erfuhren wir, |168| dass es im gesamten Baybachtal keinen Mobilnetzempfang gibt. Wanderer hätten sich schon mit gebrochenen Beinen kilometerweit bis zum Hotel geschleppt, um dort einen Krankenwagen zu rufen. So ist das Baybachtal: schön, aufregend, gefährlich!
Langsam wurde es den Kindern zu viel. Die Füße taten weh, der Weg ging an ihre Grenzen. Und mir ging es nicht besser. Ich war zwar heute nicht so gerast wie sonst, aber wir waren heute genauso lange auf den Beinen gewesen wie bei einer schnelleren Tour, und das zählte.
Was also motiviert Kinder, wenn während einer Wanderung die Kräfte nachlassen oder ihnen langweilig wird? (Was man oft nicht auseinander halten kann.)
Lieder singen. Ganz weit vorne ist dabei das gegrölte »Das Wandern ist des Müllers Lust« oder auch ein Kanon wie »Bruder Jakob«. Dabei übernimmt jeder eine Stimme, und es endet immer im Chaos.
Wanderzeichen suchen. Da es auf den meisten Wegen eine wiederkehrende Markierung (Pfeil, Buchstabe, Zeichen) gibt, ist es für die Kinder spannend, wie bei der Ostereier-Suche diese Markierung als Erste zu entdecken.
Das Spiel »Alles raten«, haben wir aus »Tiere raten« entwickelt. Man denkt sich ein Tier, einen Gegenstand, einen Beruf aus, und die anderen müssen mit Ja-Nein-Fragen die Antwort erraten. Wer es errät, ist an der Reihe. Das kann man endlos spielen.
Sagen erzählen. Vor ein paar Jahren waren auch noch Märchen möglich, aber das ist mittlerweile vorbei. Sagen erzählen war früher mein Job. Die |169| Kinder sind jetzt in einem Alter, in dem sie auch selber gerne eine Sage erzählen. Folgende Sagen wurden am Baybach zum Besten gegeben:
Minotaurus und Theseus im Labyrinth und die Rettung durch den Faden der Ariadne
Perseus und das Haupt der Medusa
Ödipus
Antigone
Siegfried und das Lindenblatt auf seiner Schulter
Ikarus und Dädalus flüchten aus Kreta
Das Spiel »Ich bin blind«. Dabei schließt das Kind die Augen und nimmt Papas Hand. Mit kurzen und präzisen Kommandos muss das Kind unfallfrei durch die Wildnis geführt werden.
Auf einem Weg zehn Meter über dem Bach stehend versuchen, mit Steinchen und Stöckchen genau in die Bachmitte zu treffen.
In einem engen Tal bietet sich das Echo-Spiel an. Am beliebtesten ist der Klassiker »Wie heißt der Bürgermeister von Wesel?«. Das wird unermüdlich versucht, obwohl ich wirklich noch nie erlebt habe, dass der Felsen »Esel« zurückruft.
Zwei Kilometer vor unserem Tagesziel weitete sich das Tal, der schmale Pfad wurde zum breiten Wirtschaftsweg. Auf grünen Weidewiesen grasten friedlich Kühe. Die Kinder waren sauer. Sie wollten Pferde sehen und keine blöden Kühe. Sie buhten die Kühe aus, weil sie keine Pferde waren. Gut, meine Kinder waren am Ende. Aber es war auch nicht mehr weit. Die letzten vier Kilometer vor der Mosel verläuft der Baybachtalweg parallel zu einer Landstraße. Also kann man sich den |170| kompletten Weg bis zur Mosel schenken. Wir gingen nur bis zum Hotel »Forellenzucht«. Als wir es endlich erreichten, jubelten die Kinder eher matt. Ich hatte telefonisch vorab zwei Zimmer reserviert, um auf
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