Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
Vom Netzwerk:
Stein. Das war mein Wintersemester 1984/1985. In den folgenden Jahren brachte ich den wechselnden Freundinnen und Frauen von Markus das Doppelkopfspielen bei und war zweimal sein Trauzeuge. Außerdem habe ich ihn, der aus Neuss stammt, zum bekennenden FC-Fan gemacht, der gemeinsam mit mir seit vier Jahren das Los des FC-Dauerkartenbesitzers teilt.
    Wir waren schon häufiger zusammen gewandert, doch bisher hatte er sich immer geweigert, eine richtig lange Tagestour mit mir zu machen. Weshalb er mich auch für bescheuert erklärte, als ich in den vorangegangenen Tagen eine 39-Kilometer-Tour ausarbeitete. Ich wollte mit Markus vom Anfang des Hermannswegs in Leopoldstal über das Hermannsdenkmal nach Oerlinghausen laufen. Schön und gut, so Markus, aber 39 Kilometer? Viel zu viel sei das, und ich solle seinen Rücken nach dem Bandscheibenvorfall bedenken, und das würde doch keinen Spaß mehr machen, und das Höchste, was er je gewandert sei, seien 33 Kilometer gewesen, und danach habe er drei Tage lang nicht mehr gehen können. Ja, ja, habe ich ihn beschwichtigt, es gibt am Ende der |189| Wanderung mehrere Möglichkeiten abzubrechen, um mit einem Taxi zum nächstgelegenen Bahnhof zu fahren. Ansonsten habe ich ihn aber im Stil eines guten Pädagogen aufgebaut und starkgeredet.
     
    So früh am Morgen saßen wir im Zug still nebeneinander und lasen in unseren Zeitungen und Büchern. Am Tag zuvor hatte er mir am Telefon gesagt, dass er erst ab Beginn der Wanderung mit mir Konversation betreiben könne, da er dringend noch einiges lesen müsse. Man merkt schnell, dass Markus Lehrer ist. Er kann ganz schön streng sein. Fass dich kurz, ich habe zu tun, heißt es manchmal am Telefon, und dann gehorche ich natürlich.
     
    Wir brachen unser Schweigegelübde jedoch viel eher. Nachdem der Intercity in Herford auf die Minute pünktlich angekommen war, fuhren wir mit der Regionalbahn über Bad Salzuflen (wohnte da nicht mal eine Gabi?), Lage und Detmold nach Leopoldstal. Wir durchquerten den Kreis Lippe, der es sogar zu einem eigenen Symbol im nordrhein-westfälischen Wappen gebracht hat. Während links der Rhein durch grüne Wiesen fließt (Nordrhein), wiehert rechts das westfälische Pferd auf Rot. Und zwischen den beiden ist unten die lippische Rose eingequetscht. Für mich war diese Gegend immer Ostwestfalen, aber Markus korrigierte mich, wir befanden uns im Lipperland. Auf meiner heutigen Wanderkarte trägt dieses Gebiet den Namen Hermannsland. Ich weiß nicht, ob dieser Name wirklich gebräuchlich ist. Sagt man in Detmold wirklich »Ich bin ein Hermannsländer«? Auf jeden Fall ist der Hauptwanderweg im |190| Hermannsland der Hermannsweg, der über 166 Kilometer von Leopoldstal nach Rheine über die Höhen des Teutoburger Waldes führt.
     
    1998 war ich den Hermannsweg schon einmal gegangen. Seit 1986 hatte ich definitiv mein Herz an den 1.FC Köln, den großen Club meiner Heimatstadt, verloren und ging regelmäßig ins Müngersdorfer Stadion. Einige Jahre später fing ich auch an, zu den Auswärtsspielen in der näheren Umgebung zu fahren: Düsseldorf, Uerdingen, Leverkusen, Bochum. Als ich dann noch weiter in die Fremde fuhr, um den FC zu sehen, machte ich es mir zum Prinzip, nicht direkt nach dem Fußballspiel wieder die Heimreise anzutreten, sondern längere Zeit in der Auswärts-Stadt zu bleiben. Ob Hamburg, München, Berlin oder Stuttgart, überall gab es eine »Nachspielzeit«. Am vorletzten Spieltag der Saison 1997/98 hatte der 1. FC Köln bei Arminia Bielefeld gespielt. Es war die letzte Chance für den FC gewesen, die Klasse zu halten und einer der wenigen Clubs zu bleiben, die seit Start der Bundesliga 1963 in der höchsten Spielklasse vertreten waren. Bei einem Sieg gegen die bereits abgestiegenen Bielefelder hätten es die Geißböcke im letzten Heimspiel gegen Bayer Leverkusen selber in der Hand gehabt, den Abstieg zu vermeiden.
    Viele FC-Fans hatten sich auf den Weg nach Ostwestfalen gemacht, um ihren Verein zu unterstützen. Die Saison war grausam gewesen. Schlechte Spieler, schlechte Spiele, und dann war auch noch Lorenz-Günther Köstner unser Trainer geworden.
    Ich war in einem Sitzplatzblock für Auswärtsfans direkt hinter dem Tor gelandet. Nach 16 Minuten führte der |191| FC 1:0 durch ein Tor von Dorinel Munteanu, der vor meinen Augen die Kugel in die Maschen drosch. Ekstatischer Jubel in meinem Block. Wir sangen »Niemals zweite Liga, niemals, niemals!«. Das Spiel war ein typischer Abstiegs-Kick.

Weitere Kostenlose Bücher