Gesammelte Wanderabenteuer
die Natur an.
Zu Beginn ging es sehr steil bergan, und auf den letzten 500 Metern des Aufstiegs zum Velmerstot kamen wir richtig ins Schwitzen, obwohl es gerade mal acht Grad waren. Aber es lohnte sich. Oben auf dem Velmerstot erwartete uns eine wunderschöne flache Landschaft. Hier gibt es so eine grün-bräunliche Heide- und Hochmoor-Vegetation mit gummiartigem weit verästeltem Gewächs. In der Kategorie schönster höchster Berg eines deutschen Mittelgebirges ist der Velmerstot ganz weit vorne. Die meisten höchsten Berge sind asphaltiert und verbaut (Feldberg, Brocken). Andere sind einfach nur stinklangweilig und belanglos (Langenberg im Rothaargebirge). Als ganz grausam habe ich den Erbeskopf in Erinnerung, den höchsten Berg des Hunsrücks. Den Erbeskopf hatte ich auch zusammen mit Markus erwandert, und es dauerte erst einmal gefühlte zwölf Stunden, bis wir diesen Berg auf weiten und schnurgeraden Wanderwegen erreicht hatten. Statt Aussicht und der Gewissheit, am höchsten Punkt des Berges zu sein, erwartete uns Stacheldraht. Der Erbeskopf ist ein Hochsicherheitsgebiet der Bundeswehr, und ich weiß nicht, ob da Hunsrücker oder Franzosen ausspioniert werden. Entsprechend macht der Aussichtsturm jedem Lager im Gulag große Ehre. Von da oben sieht man nur Bäume. Also: Erbeskopf mangelhaft, Velmerstot sehr gut.
Vom Velmerstot führte uns der Hermannsweg bergab in ein liebliches Tal mit geschwungenem Bachlauf bis zur Silbermühle. Zwei Kilometer hinter der Silbermühle |195| unterquerten wir eine gigantische Brückenkonstruktion, unter der eine Landstraße und die B1 aufeinander treffen. Der Krach war gewaltig, und optisch war es schlimmer als die meisten Autobahnunterquerungen. Danach ging es wieder steil bergan auf den Kamm des Teutoburger Waldes. In südlicher Richtung lagen die Berge, im Norden die lippische Tiefebene. Na ja, wenn die mal so heißt. Der Weg selber war ein schmaler Pfad durch eine Grasfläche mit vereinzelt stehenden Birken. Nach und nach wurde es steiniger. Allerdings hatten die Steine maximal die Größe von Medizinbällen. Umso unerwarteter schossen plötzlich riesige Felsgebilde in den Himmel. Ein Mini-lippisches-Sandsteingebirge. Die Externsteine von Horn Bad-Meinberg. Es sind ungefähr 40 Meter hohe, schlanke Felssäulen, und sie wirkten ein wenig irreal, so als hätte ein durchgeknallter Bühnenbildner, völlig uninspiriert, in der Nähe von Detmold ein |196| paar Pappmaché-Felsen gebaut. Doch schon zu germanischen Zeiten war hier eine heidnische Kultstätte gewesen: das Stonehenge des Lipperlands.
Wanderglück an der B1
Auch die Christen entdeckten die Steine für sich und gruben schon 1115 eine Kapelle in den Stein. Und noch heute treffen sich um die Zeit der Mittsommerwende, am 22. Juni, einen Tag vor meinem Geburtstag, eine Gemeinschaft von Freaks, Esoterikern und Neonazis, um was oder wem auch immer zu huldigen.
Da Markus Geschichtslehrer ist, wandelte ich dieses Mal historisch auf sicherem Fundament. Er berichtete mir einiges über das Thema Nazis und Wandern. Wie vieles andere sind auch die Wandervogel-Bewegung und Jugendbünde von den Nazis missbraucht worden. 1901 wurde »Der Wandervogel« in Berlin-Steglitz gegründet und hatte während der Weimarer Republik eine Mitgliederstärke von 30.000 erreicht. Man veranstaltete Wanderfahrten und übte sich in Volkstanz und -musik.
Es entstand eine deutsche Jugendbewegung, die sich so viel bewegte wie noch nie zuvor. Sie propagierte ähnlich wie die FKKler ein »Zurück-zur-Natur-Gefühl«. Die Nazis lösten die Wanderbünde auf und überführten sie 1933 in die Hitlerjugend. Dort pervertierten sie das Wandern zu einer paramilitärischen Veranstaltung. Nicht umsonst galt das Wandern jahrzehntelang nach 1945 als spießig und reaktionär. Ein 68er, der wandert, war unvorstellbar, denn Wandern war mit Sicherheit noch muffiger als die Talare der Professoren.
Markus und ich sahen keine Neonazis und Esoteriker an den Externsteinen. Man kann die Externsteine über ein |197| komplexes Treppensystem besteigen. Der Eintritt kostete 1 Euro und 50 Cent. Wir fanden, dass das Quatsch war, da doch der wirklich großartige Anblick der von unten war.
Nach den Externsteinen ging es wieder steil bergauf und dann auf dem Kamm leicht bergab. Erst steil hoch, dann langsam bergab. Auf den ersten 20 Kilometern wiederholt sich das mehrmals und ist typisch für diesen Weg. Ich finde das angenehmer als umgekehrt, aber das ist natürlich
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