Gesammelte Wanderabenteuer
Die Bielefelder waren erbärmlich schlecht, und Köln führte völlig verdient zur Pause.
Nach der Pause spielte Bielefeld auf das Tor vor meiner Nase. Uwe Fuchs, der auch mal jahrelang in Köln, erst bei der Fortuna, dann beim FC, gespielt hatte, schoss das 1:1 für Bielefeld. Dann, in der 74. Minute, ich sehe es noch vor mir, hämmerte Uwe Fuchs aus zwei Meter Entfernung den Ball unter die Latte. Köln hatte verloren, wir waren abgestiegen. Das erste Mal nach 35 Jahren Bundesliga-Zugehörigkeit. Viele Fans weinten. Ich fuhr nach Leopoldstal und übernachtete dort, um am nächsten Morgen in aller Frühe loszuwandern.
Ich war schon in meinen blauen Cord-Kniebund-Wanderhosen angereist und hatte mir, je nach Spielausgang, eine Jubel- oder Frustwanderung durch den Teutoburger Wald vorgenommen. Es wurde eine Frustwanderung. Und es war die längste Wanderung, die ich je unternommen habe. Ich war vom Bahnhof Leopoldstal bis zum Bielefelder Hauptbahnhof genau 50 Kilometer gegangen, und das waren zehn Kilometer zu viel gewesen. Aber die Schmerzen in den Beinen und unter den Füßen lenkten vom Schmerz des Abstiegs ab.
Diese Wanderung war nicht die einzige Frustwanderung nach einer Auswärts-Niederlage. Nach dem Wiederaufstieg mit dem »heiligen« Ewald Lienen in der Saison 1999/2000 hatten die FC-Fans nach schwierigem Start |192| eine schöne 1. Bundesliga-Saison 2000/2001 erlebt. Doch im September 2001, zum Start der darauf folgenden Saison, standen die Geißböcke wieder mit dem Rücken zur Wand. Am 29. September 2001 spielten wir in Berlin bei der Hertha und verloren sang- und klanglos mit 3:0 nach Toren von Deisler, Marcelinho und Preetz.
Zusammen mit meinem Freund Victor und seinen beiden homosexuellen WG-Mitbewohnern war ich ins Stadion gegangen. Für die anderen beiden war es das erste Spiel in ihrem Leben. Nach dem Spiel fuhren sie enttäuscht nach Hause. Das Ergebnis des Spiels war ihnen egal, aber sie hatten sich mehr von der erotischen Ausstrahlung der Fußballfans erwartet. Ihnen schwebte so eine schmutzige Village-People-Bauarbeiter-Seemanns-Aura vor. Der gewöhnliche Hertha-Fan sah aber nach Hertha-Fan aus.
Victor und mich frustierte nicht der fehlende Sex-Appeal der Zuschauer, sondern das Ergebnis. Wir steuerten den Grunewald an, der direkt hinter dem Berliner Olympiastadion anfängt. Der Kontrast zwischen einem Fußballstadion und einem Wald könnte größer nicht sein. Bunte, grelle Kostümierung der Fans im Stadion. Gedeckte Grün- und Brauntöne im Wald. Schrilles Pfeifen, lautes Singen, unangenehmer Torjubel der gegnerischen Fans. Danach Stille mit zartem Blätterrascheln und Vogelzwitschern. Im Stadion muss man seinem Nachbarn zu Kommunikationszwecken ins Ohr brüllen, im Wald kann sich ein gepflegtes, intimeres Gespräch entfalten. Dem Stillstand auf Steh- oder Sitzplatz folgt kontemplatives Schreiten.
|193| So hatten Victor und ich das blamable Spielergebnis schnell vergessen und marschierten durch den Grunewald. Am Grunewaldturm stiegen wir in einen nostalgischen Berliner Doppeldeckerbus und fuhren zur S-Bahn-Station Wannsee.
In der S-Bahn Richtung Berlin-Mitte planten wir zukünftige Wanderabenteuer. Dabei fiel auch der Name des Thüringer Rennsteigs, der ein Wanderklassiker ist. Sofort schaltete sich ein mitreisender Berliner ein und riet dringend vom Rennsteig ab. Dieser Weg sehe aus wie Grenzanlagen der DDR. Fünf Meter breit und asphaltiert würde sich der Rennsteig durch den Thüringer Wald ziehen. Ich habe den Rat des Berliner-S-Bahn-Wanderexperten seitdem befolgt, weiß also nichts über den Thüringer Rennsteig zu sagen.
In der Saison 2003/2004 war der 1. FC Köln mal wieder zum Abstieg verdammt. Aber die Saison hatte ich schon abgeschrieben, und so war ich ohne Fußballfrust mit meinem Freund Markus im Teutoburger Wald unterwegs. In allen Wanderführern heißt es, der Hermannsweg würde in Leopoldstal starten, aber das stimmt nicht so ganz. Eigentlich startet der Hermannsweg, der mit einem weißen H auf schwarzem Grund markiert ist, irgendwo in den Bergen oberhalb des Ortes. Der Startpunkt ist nicht genau definiert, aber irgendwann findet man den Weg. Fünf Minuten nach Verlassen der Bahnhaltestelle waren wir im Wald. Das macht die Qualität eines guten Wanderstartpunkts aus. Nicht endlos durch Vorstädte oder über Landstraßen wandern zu müssen, bevor es richtig losgeht, nein: Aus |194| dem Zug aussteigen, ein paar Häuserreihen entlang, und dann fängt
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