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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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unsere Tour. Das Durchschnittsalter im »Brockenblick« entsprach in etwa der durchschnittlichen Lebenserwartung |218| der deutschen Bevölkerung. Die wollten wirklich nur auf den Brocken blicken und ihn nicht erstürmen. Wir dagegen wollten auf den Brocken.
    |217|
    Blick auf den Brocken. Das Schild weist die alte Rechtschreibung auf. Es muss natürlich Brocken, nicht Bockw heißen
    |218| Kurz hinter dem Café in Torfhaus gelangten wir auf den Hexenstieg. Der Hexenstieg ist vergleichbar dem Rothaarsteig ein 93 Kilometer langer Wanderweg, der in West-Ost-Richtung den Harz durchquert und 2003 nach den Kriterien des »Wanderbaren Deutschlands« eingerichtet wurde. Auf diesem Hexenstieg, der mit der Harztypischen grünen Hexe markiert ist, gingen wir die ersten vier Kilometer bis zum Rastplatz Eckersprung. Der Weg war extrem abwechslungsreich: durch dichte Tannenwälder auf wurzelbedeckten Wegen, auf Holzstegen über ein Hochmoor, auf breiteren Forstwegen durch einen Mischwald. Ein Stück führte auch durch ein großes Gebiet, das vom sauren Regen zerstört worden war. Ähnlich, wie ich es im Schwarzwald gesehen hatte, handelte es sich um eine Bergkuppe. Victor hatte so etwas noch nie gesehen und fand es sehr gruselig.
     
    Hinter dem Rastplatz Eckersprung mit WC-Häuschen bog der Hexenstieg auf eine breite, betonierte Schneise ein. In zwei Reihen waren löchrige große Betonplatten in den Boden eingelassen und führten einen Kilometer gerade bergan. Wo wir jetzt entlangwanderten, patrouillierten vor 15 Jahren noch Grenzsoldaten der DDR. Der Wanderweg lief genau auf der ehemaligen Grenze zwischen der BRD und der DDR, der heutigen Grenze zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.
    |219|
    Falsch ...
    ... richtig
    |220| Dieser Grenzweg führte uns bis an den Gleisstrang der Brockenbahn. Zwei Kilometer ging es an den Gleisen entlang. Für einen gewöhnlichen Wochentag im Herbst war der Weg gut besucht, und uns kamen so viele Wanderer entgegen, wie ich es höchstens vom Rotweinwanderweg an der Ahr kenne. War das Ausdruck einer neuen Wanderleidenschaft der Deutschen? Es fiel schon auf, dass das Durchschnittsalter der Brockenwanderer niedriger war als das der Gäste im Restaurant »Brockenblick«. Es waren ganze Schulklassen darunter, junge Erwachsene mit kleineren Kindern und viele »Nordic-Wanderstöcke-trekkingmäßig« ausgestattete Herrschaften im Alter zwischen 35 und 55. Die hatten sich alle für diese Harz-Tour freigenommen und waren keine ziellosen Herumschlenderer.
     
    Am Ende der Gleise schwenkte der Wanderweg links ab. Das letzte Stück zum Gipfel ging es auf einer asphaltierten Straße bergan. Victor war die ganze Zeit leicht vor mir hergegangen, und ich wollte jetzt zu ihm aufschließen. Aber wie sehr ich auch meinen Schritt beschleunigte, ich kam nicht näher. Das kam mir merkwürdig vor. Dann dämmerte es mir. Das sollte jetzt bestimmt die Rache für meinen fulminanten Sieg am Großen Winterberg in der Sächsischen Schweiz werden. In seinem Rücken fing ich an, fünf bis sechs Schritte zu joggen. Da drehte er sich das erste Mal um. Ich tat unbeteiligt und wanderte stramm weiter. Als er wieder nach vorne schaute, lief ich wieder ein paar Schritte bergan. Diesmal guckte er sich aber zu früh um, erwischte mich beim Joggen und lief mir davon. Um es kurz zu machen: Er war als Erster am Gipfel. Wir standen beide schnaufend |221| für zwei Minuten auf dem Brocken. Es war dort oben viel zu windig, und wir beschlossen, sofort mit der Brockenbahn zurückzufahren. Wir gingen zum Verkaufsschalter, wo der Schalterbeamte diverse hochprozentige Alkoholika sortierte. Im Angebot waren der Ramazotti des Harzes, der »Schierker Feuerstein«, und der Kräuterlikör »Brocken-Hexe«. Außerdem gab es den »Schaffnertropfen«, einen Fruchtsaft-Likör mit Schlehe und Rum, und den »Heizerschluck«, einen Waldbeerlikör mit Farbstoff. Anscheinend waren alle Mitarbeiter der Brockenbahn ständig hackenstramm. Wir wollten aber kein flüssiges Kopfweh, sondern eine Zugfahrkarte. Die waren ausverkauft, wir sollten, so der Bescheid, uns im Zug eine Fahrkarte geben lassen. Das haben wir dann |222| auch gemacht. Der Einheitspreis von 14 Euro pro Person erschien uns nicht zu teuer für die Fahrt mit dieser speziellen Eisenbahn.
    |221|
    Auf dem Brocken:
    Raketenabschussbasis oder das neue Logo der Fußball-WM?
    |222| Für einen passionierten Eisenbahnfahrer wie mich war die Brockenbahn ein Faszinosum. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 1899 wird

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