Gesammelte Wanderabenteuer
zu geben. Herr Schmidt erhörte unser Flehen. Da er unseren Geschmack nicht kannte, brachte er zwei Sorten Hefeweißbier mit. Wir entschieden uns für beide Sorten. Gegen die Sonne gehalten, erschien mir die Färbung des Weißbiers wie flüssiges Gold.
Um Punkt 18 Uhr starteten wir, um die letzten sechs Kilometer der heutigen Wanderung in Angriff zu nehmen.
Wir kalkulierten eine knappe Stunde für diese Strecke ein. Mir kam der Hermannsweg-Kilometer allerdings auch wesentlich kürzer vor als der Rothaarsteig-Kilometer und erst recht als der Eifel-Kilometer. In der Eifel habe ich immer das Gefühl, für jeden Kilometer richtig arbeiten zu müssen. Hier im Teutoburger Wald rasten die Kilometer förmlich an uns vorbei. Das lag entweder an unserer guten Tagesform, oder in der Eifel wird einfach falsch gemessen.
|209| Am Rande des Weges standen plötzlich diverse Turngeräte aus Holz. Ein Trimm-dich-Pfad! Und dazu noch tadellos in Schuss! Die große Zeit des Trimm-dich-Pfads waren die 70er Jahre. Im Vorfeld der Olympischen Spiele in München 1972 war eine neue Art von Bewegungsfieber in Deutschland ausgebrochen. Das Trimm-Männchen, Trimmy genannt, trug kurze Hosen, hatte ein breites Grinsen und streckte den Daumen in die Höhe. In fast jeder Kommune Deutschlands entstanden Trimm-dich-Pfade mit einem genormten Fitness-Programm. Es gab einen Parcours mit verschiedenen Geräten, wie Ringe, Reckstangen und Bock-Sprung-Pfosten. Zwischen den Geräten sollte man joggen (diesen Begriff gab es damals eigentlich noch nicht) oder gehen.
Ich war immer ein sehr großer Fan von Trimm-dich-Pfaden und habe es sehr bedauert, dass diese Ende der 80er Jahre allerorten verlotterten und abgebaut wurden, weil die Gemeinden nicht mehr für die Wartung zahlen wollten.
Ich freute mich richtig, dass entlang dem Hermannsweg nun ein Trimm-dich-Pfad verlief. Für Markus war es auch gut. Er hängte sich in die Ringe, um seinen von einem Bandscheibenvorfall lädierten Rücken zu entspannen.
In dieser Gegend, zwischen Bienenschmidt und Oerlinghausen, kamen uns mehrere Jogger entgegen. Markus grüßte alle. Ich war mir nicht so sicher, ob Wanderer Jogger grüßen sollten. Erst einmal prinzipiell: Wanderer grüßen natürlich andere Wanderer. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Dabei gelten die üblichen Höflichkeitsregeln, also die Jüngeren grüßen zuerst, sodass wir |210| eigentlich immer zuerst grüßen mussten. Wanderer grüßen natürlich auf keinen Fall Spaziergänger, die nur mal schnell mit dem Auto zu den Externsteinen oder diversen Ausflugslokalen oder Wanderparkplätzen gefahren sind, um »sich die Beine zu vertreten«. Man erkennt Spaziergänger direkt an der Körperhaltung, dem Outfit und dem schlendernden Gang.
Spaziergänger sind eine andere Spezies und werden nicht beachtet. Jogger werden von mir auch nicht gegrüßt. Jogger sind einfach in einem anderen Aggregatzustand der Fortbewegung. Wenn ich jogge, grüße ich auch andere Jogger. Aber dieser Gruß ist die stillschweigende Vereinbarung, dass beide leiden: Ich akzeptiere deine Qual, und du erkennst mein Leid an. Als Jogger würde ich auch niemals einen Walker grüßen. Der leidet ja gar nicht.
Und genauso ist es doch von Wanderer zu Jogger. Wir Wanderer grüßen auch noch nach 35 Kilometer kalt lächelnd und haben zwei Weizen intus, der Jogger quält sich mit verzerrtem Mund einen Rückgruß heraus. Ich finde, da gibt es ein Ungleichgewicht.
Einig waren Markus und ich, dass man unter gar keinen Umständen einen Mountainbiker grüßen sollte. Die gibt es im Teutoburger Wald, aber auch in anderen deutschen Mittelgebirgen reichlich. Mountainbiker sind albern angezogene Wald-Hooligans, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. Wir beschlossen, dass Radfahrer auf den Asphalt gehören. Die wurden also nicht gegrüßt.
Ein befreundeter Theaterregisseur hat mir übrigens gestanden, dass er in der Kantine des Dreispartenhauses, an dem er beschäftigt ist, niemals die Opernsänger grüßen würde.
|211| Solchen Standesdünkel kennen Lokomotivführer nicht. Im ICE 2 und im ICE 3, bei denen man als Fahrgast hinter dem Zugführer sitzen darf, kann man das sehr gut beobachten.
Der ICE-Lokführer grüßt ausnahmslos alle entgegenkommenden Lokführer, auch wenn sie nur einer Regionalbahn vorstehen. Und sogar Güterzug-Lokführer werden gegrüßt. Lokomotivführer sind wahrhaftig liberale Menschen.
2,5 Kilometer vor Oerlinghausen stieg der Hermannsweg noch einmal steil
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