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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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ich als Steuerzahler nicht erwarten, dass man hier entweder ein Holzgeländer anbringt oder mal streut und Schnee räumt? Oder am besten der ganze Wanderweg im Winter gesperrt wird? Für den Winterwanderer gibt es keine Vorschriften vergleichbar den Winterreifen bei Autos, es gibt keinen Winterdienst und keinen Winterwarndienst.
    Allerdings scheint man sich der Schwierigkeiten auf dem Affensteinweg bewusst zu sein, sonst gäbe es nicht auf jedem Kilometer Kästen mit der Aufschrift »Selbsthilfebox«. Sie sehen aus wie sarggroße Truhen. In ihnen findet man Verbandszeug und vor allem eine Selbstrettungstrage. Ich fragte mich ernsthaft, wie ich mich auf einer solchen Trage selbst retten sollte. Aber trotz der Kälte und der schlechten Witterungsverhältnisse waren auch an diesem Tag erstaunlich viele Wanderer unterwegs. Die hätten mich im Absturzfalle wahrscheinlich gerne zehn Kilometer durch die verschneiten Wälder getragen. Nun gut, vielleicht nicht das Wanderpärchen, das unter einem Felsvorsprung gerade Rast machte. Die schälten in aller Ruhe ihre Orangen. Das sah gemütlich aus, doch die beiden strahlten eine Quatsch-uns-jetzt-bloß-nicht-an-und-wenn-du-abstürzt-sind-wir-nicht-so-blöd dich-zu-retten-Haltung aus, sodass ich nur knapp grüßte und weiterging. Nach dreieinhalb Stunden Wanderung und ungefähr der Hälfte des Weges hatte ich auch eine Pause nötig. Unter einer weit hervorstehenden Felsenplatte, wo es angenehm trocken war und wo anscheinend weder Mensch noch Tier in jüngster Vergangenheit ihre Notdurft verrichtet hatten, ruhte ich mich ein wenig aus. Nur noch ein schmaler Streifen war von der Landschaft zu sehen. Es wirkte wie ein sehr, sehr alter Cinemascope-Breitwand-Western im Fernsehen: mehr schwarze Streifen als sonst was.
     
    |285| Nach der Rast war es schon 14.30 Uhr, und ich musste weiter, wollte ich bis Sonnenuntergang wieder in Bad Schandau sein. An diesem Abend sollte die Sonne in Dresden um 17.50 Uhr untergehen, während es in Köln erst um 18.18 Uhr zu dämmern begann. Fast eine halbe Stunde Zeitunterschied. Die deutsche Einheitszeit ist eigentlich ein Konstrukt. Erst mit der deutschen Reichsgründung von 1871 war sie eingeführt worden, und später wurde sie zur MEZ (mitteleuropäische Zeit). Vorher gingen – im wörtlichen Sinne – in fast jedem der vielen kleinen Staaten Deutschlands die Uhren anders. Auf jedem Bahnhof musste damals der Reisende seine Uhr umstellen, da es eine rheinische Zeit, eine hessische Zeit, eine badische Zeit usw. gab. Um als überzeugter Europäer zu sprechen: Die Vereinheitlichung der Zeit war für Westeuropa, was über 100 Jahre später der Euro sein würde – ein Zeichen der Gemeinsamkeit.
    Wanderdurchschlupf
    Ich lief und lief und lief, als mir plötzlich ein riesiger Felsen den Weg versperrte. Auf einer großen Tafel stand unmissverständlich , dass man sich in Lebensgefahr begeben würde, wenn man versuche, um den Felsen herumzulaufen. Sollte ich jetzt etwa über den Felsen klettern? In anderthalb Meter Höhe sah ich dann das nächste Wanderzeichen. Dort war ein kleines |286| Schlupfloch. Nun gut. Zuerst warf ich meinen Rucksack durch das Loch, dann wuchtete ich meinen Körper auf einen Felsenvorsprung, um mich dann vorwärtsrobbend durch den Durchschlupf zu zwängen. Achtung, das ist auch im Sommer kein Weg für Wanderer mit Kinderwagen!
    Das »Loch vom Affenstein« war aber nur der Anfang. Der Abstieg ins Tal Richtung Kuhstall war so steil, dass er fast durchgehend aus Treppen bestand. Treppen im Mittelgebirge sind die Alternative zu Wanderserpentinen. Gut, auf Treppen geht es im Normalfall schneller. Aber ich würde jederzeit Serpentinen mit ein paar gemütlichen Kehren vorziehen und hätte auch in diesem Moment nichts dagegen gehabt. Die Stufen waren vereist und bildeten eine glatte Fläche, die 45 Grad abfiel. Um die 230 Meter Höhenunterschied zu bewältigen, hatte ich schnell vier Abstiegstechniken entwickelt.
     
    Technik 1 (Die Rodel-Variante)
    Auf dem Hinterteil sitzend rutschte ich bis zur nächsten Kurve. Diese Technik hatte den Nachteil, dass sie sehr weh tat und man sein Steißbein spürte, wenn dann doch eine Treppenstufe hervorsprang. Außerdem wird auf diese Art und Weise trotz langer Unterhose der Po sehr kalt. Ich vermied die Rodel-Technik, so gut es ging, aber es gab Stellen, da war sie die einzige Möglichkeit, überhaupt hinunterzukommen.
     
    Technik 2 (Die Himalaya-Variante)
    Wenn auf den Stufen genug Schnee lag, versuchte

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