Gesammelte Wanderabenteuer
die Sicherheit des Wanderers getan worden: Drahtseile und im Boden verankerte Pfosten. Fast ein bisschen langweilig nach der Kamikazestrecke. An den optimal abgesicherten Felsen schoben |296| wir uns an einem Pärchen vorbei, das wir bereits dreimal überholt hatten. Entweder hatten wir kurz gerastet oder uns verlaufen, und nun mussten wir schon wieder diesen blöden Hüten hinterherlaufen. Die Karo-Hemden der beiden gingen ja noch, ebenso die Outdoor-Westen. Aber die Leder-Trapper-Hüte waren zu viel. Schlabbrige Lederhüte trägt man vielleicht im australischen Outback bei der Krokodil-Safari oder beim Ayers-Rock-Gucken oder was man da so macht, aber doch nicht in deutschen Mittelgebirgen und nicht am Rhein!
Nachdem wir bisher einige überholt hatten, kamen uns nun immer mehr Wanderer entgegen. Sie folgten der offiziellen Nord-Süd-Richtung des Rheinsteigs. An einem steilen Aufstieg machte uns ein entgegenkommendes älteres Pärchen (ohne Hüte) Platz mit den Worten »Bergfracht geht vor«. Mir ist nicht ganz klar, ob sich dieses anscheinend halbwegs geflügelte Wort auf unsere Last auf dem Rücken oder auf uns selber bezog. Ich wäre wahrscheinlich stehengeblieben, um dem Alter den Vortritt zu lassen, da es inzwischen sehr heiß geworden war und wir uns nach einer Pause sehnten. Nur fünf Minuten später erreichten wir den Rastplatz »Alte Burg«. An der »Alten Burg« war keine Burg zu sehen. Die war eben so alt, dass sie auch schon wieder weg war. Hier war es jedoch entschieden besser als an der Wanderhütte mit Basketballkorb, die wir zuvor passiert hatten. Was sollte das denn? Schon Basketballkörbe in Garageneinfahrten signalisieren: In-Amerika-hängen-die-auch-an-jede-Garageneinfahrt-einen-Korb. Noch nie, nie, nie habe ich ein Kind oder einen Jugendlichen an einem solchen Korb Basketball spielen sehen. Und jetzt auch noch im Wald. Gibt es Wanderer, die einen Basketball im Rucksack mitführen und sich dann an dieser Wanderhütte denken: Toll, schau mal, Schatz, da ist ja ein Korb an der Wanderhütte, |297| da nehme ich doch mal schnell den Basketball aus dem Rucksack, den ich die ganze Tour mit mir herumgeschleppt habe, und übe mal ein paar Dunkings?
Markus hatte für uns beide panierte Putenschnitzel gemacht, und die Sicht über den Rhein war großartig. Wir versicherten uns, dass es uns selten so gut gegangen sei, es noch nie besser geschmeckt habe und das Leben sich von seiner besten Seite zeige. Wenn man diese Aussicht malen würde, könnte das entstandene Kunstwerk kitschig wirken. In Venedig hatte ich zuletzt einen deutschen Familienvater belauscht, der während der Fahrt mit einem Lagunenboot seine Familie darüber belehrte, dass er nun kein Foto von dem wundervollen Panorama der Stadt machen würde, da der Blick in den Sonnenuntergang zu kitschig wäre. Da hätte ich fast wütend eingegriffen und korrigiert: Eine Landschaft oder eine Stadtansicht kann nie kitschig sein, höchstens ihre |298| künstlerische oder zumindest kunstgewerbliche bildliche Wiedergabe. Es ist durchaus schicklich, selbst bei fast körperlich schmerzend schönen Landschaften die Augen geöffnet zu halten. Das kann nie Kitsch sein. Warum ich das erzähle? Weil der Begriff Kitsch meines Wissens am Rhein entstanden ist. Im 19. Jahrhundert waren die Engländer nicht nur italiensüchtig, sondern auch verrückt nach dem Rhein. Der erste Baedeker-Reiseführer von 1830, »Rheinreise von Mainz nach Cöln«, wurde rasch ins Englische übersetzt und der Mittelrhein zu einem beliebten Ziel der Angelsachsen. Auch ein Maler wie William Turner hat nicht nur Schiffe in dunstigen Londoner Häfen gemalt, sondern war etliche Male am Rhein unterwegs, um die Romantik der Burgen und des Rheintals auf Zeichnungen und Gemälden zu verewigen. Und ihm machten es junge englische Damen nach, die sich mit Skizzenblock an den Fluss setzten.
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Wartestand am Rheinsteig: Was soll hier vorbeikommen?
Busse, Rehe, Mädels?
|298| Und da saß also diese junge englische Lady, nennen wir sie einmal Jane, am Rheinufer und zeichnete eine mittelalterliche Burg ab. Das interessierte natürlich auch die rheinischen Ureinwohner, die es nicht kannten, dass jemand die Muße hat, sich stundenlang ohne harte körperliche Arbeit, einfach nur so zum Zeitvertreib, mit der Natur zu beschäftigen. Die Rheinländer fragten also Jane: »Watt mähs du denn do, watt iss datt?« Jane, ungeheuer polyglott gebildet, verstand sofort die Frage und antwortete: »It’s a
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