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Gesammelte Wanderabenteuer

Titel: Gesammelte Wanderabenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Andrack
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mir wurde warm.
    Um mich herum war alles erstarrt, leblos. Riesige, zwei bis drei Meter große Eiszapfen hingen links und rechts des Weges herab. Aber nicht nur die Größe war beeindruckend, sondern vor allem die Farbe. War das Wasser besonders eisenhaltig, oder gab es einen verborgenen Zusammenhang zwischen den Bächen hier und der ostsächsischen Kanalisation? Die Eiszapfen funkelten uringelb-kupfern, eine Farbe, wie ich sie zuletzt an lange nicht mehr gesäuberten Pissoirs in zweifelhaften Kaschemmen gesehen hatte.
    Zunächst führte der Weg noch gut zwei Kilometer an den Schrammsteinen entlang. Man läuft parallel zur Elbe Richtung tschechische Grenze. Die Strecke ist dort gut ausgebaut, und ich kam entsprechend gut voran. Das änderte sich, als ich abbog und es auf einem Pfad steil bergan ging. |282| Der Aufstieg trägt den bezeichnenden Namen Schornsteinweg, denn es wird so eng, als würde man durch einen Kamin klettern. Ich kam mir vor wie Sisyphos. Unbeholfen versuchte ich, die Höhe zu erreichen, doch immer wieder verlor ich den Halt oder rutschte eine Schrittlänge zurück. Auf halbem Weg nach oben fing ich derart an zu schwitzen, dass meine Brille beschlug und ich überhaupt nichts mehr sehen konnte. Ich zog also die Brille aus, und meine Bemühungen, auf die Höhe zu kommen, wurden noch ungeschickter. Das war kein Wandern mehr, das war Krabbeln, Rutschen, Fluchen.
    Nachdem ich gesund oben am Grat angekommen war, erholte ich mich auf einem längeren Höhenweg mitten durch die Felslandschaft. Geologisch gesehen, besteht das Elbsandsteingebirge aus einem ungefähr zwanzig mal zwanzig Kilometer großen Sandsteinblock. Da der Sandstein so weich ist, wurden in den letzten Jahrmillionen durch Regen Täler und freistehende Felsen herausgespült. Wie ein Bildhauer, der aus Marmor eine Skulptur formt, hatte die Witterung hunderte bizarre Felsformationen entstehen lassen. Der Felsen ist tiefschwarz, was den majestätischen Eindruck noch verstärkt, und ragt teilweise dünn wie ein überdimensionaler Finger in den Himmel. Natürlich ist Sandstein eigentlich sandsteinfarben – logisch. Daher erstrahlt die Dresdner Frauenkirche nach dem Wiederaufbau auch in zartem Ocker, wird aber in wenigen Jahren auf Grund der Luftverschmutzung schwarz wie der Kölner Dom oder eben diese Felsen sein. Im Winter haben die dunklen, oft bedrohlich wirkenden Felsen etwas Niedliches – weil sich der Schnee wie Zuckerguss auf die Spitzen und Kanten legt.
    Bisher war ich noch niemandem begegnet, aber jetzt kamen mir ein Junge und ein Mädchen entgegen, und wie im Märchen Sterntaler rieb sich das Mädchen die blaugefrorenen |283| Hände. Doch weder Kneten noch heißer Atem halfen ihr. Auch die Hände an wärmere Körperteile wie Bauch oder Po zu halten führte eher zu einem Kälteschock als zu spürbarer Besserung. Ich grüßte bedauernd, mit meinen nassen Wollhandschuhen war ich nur wenig besser dran.
    Kurze Zeit später erreichte ich eine Wegespinne, ein Begriff aus den Wanderführern. An einer Wegespinne treffen im Unterschied zur Kreuzung (vier Wege) und Gabelung (drei Wege) mindestens fünf Wege aufeinander. Es waren an dieser Stelle genau fünf. Meine Karte versagte völlig. Die Markierungen an den Bäumen stimmten nicht mit denen auf der Karte überein. Ich versuchte, mich mit Hilfe des Ausschlussverfahrens zu orientieren. Zurück wollte ich auf keinen Fall. Nach Schmilka an der Elbe und zum Großen Winterberg auch nicht. Diese Wege war ich schon einmal gegangen. Hinunter Richtung Kuhstall kam auch nicht in Frage, den wollte ich mir erst später ansehen. Also blieb nur noch der obere Affensteinweg. An den Fußabdrücken konnte ich erkennen, dass an diesem Tag schon Wanderer hier entlanggegangen waren. Ihnen folgte ich. Manchmal kommt es vor, dass man im Schnee den Pfad nicht identifizieren kann. Das war mir bei einer Wanderung in der Schwäbischen Alb passiert, und ich hatte mich damals schrecklich verlaufen.
     
    Schon längst hatte ich keinen Blick mehr für die Umgebung. Ich versuchte, mich in dem inzwischen 60 Zentimeter tiefen Schnee auf den nächsten Schritt zu konzentrieren. Einmal kam ich aus dem Gleichgewicht, konnte mich aber noch an einem dünnen Bäumchen linker Hand festhalten. Der Schock setzte erst verzögert ein, als ich begriff, dass dieses kleine Bäumchen weit und breit das einzige Bäumchen war, und es neben mir in eine 150 Meter tiefe Schlucht hinabging. |284| Wo bleibt denn da der deutsche Wander-TÜV? Kann

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