Gesammelte Wanderabenteuer
beschriebenen Touren in 4.000 bis 5.500 Meter Höhe ist er zum großen Teil selbst gegangen. Er war also ein bisschen überqualifiziert für die Tour in der Nordeifel, die ich geplant hatte.
Die Rur ohne »h« sollte man nicht mit der Ruhr mit »h« verwechseln. Dort soll es auch gar nicht so übel sein, und an den alten Fördertürmen führen mittlerweile auch Wanderrouten entlang. Aber das Tal der Rur ohne »h« ist hervorragend! Die Rurtalbahn, die in den 80er Jahren stillgelegt werden sollte, aber dann als eine der ersten Strecken in Deutschland privatisiert wurde, transportiert zwischen Heimbach und Düren Radfahrer, Camper, Kanuten, Wanderer, Segler, Angler und Minigolfer. Am Fluss finden sich im |312| Abstand von wenigen Kilometern Bahnhöfe, sodass man als Wanderer je nach Tagesform seine Tour problemlos verkürzen oder verlängern kann.
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Meine ganz persönliche Hitliste der besten Flusstalwanderbahnen Deutschlands, die ich alle schon für Wanderungen genutzt habe.
Streckenname
Von–Nach
Kursbuch-Nummer
1. Oberelbstrecke
Meißen–Schöna
241.1
2. Rurtalbahn
Düren–Heimbach
484
3. Moselstrecke
Koblenz–Trier
690
4. Murgtalbahn
Rastatt–Freudenstadt
710.41
5. Semmeringbahn
Bad Schandau–Sebnitz
248
6. Eifelbahn an Urft und Kyll
Kall–Trier
474
7. Rechtsrheinische Strecke I
Koblenz–Rüdesheim
466
8. Rechtsrheinische Strecke II
Köln–Koblenz
465
9. Lößnitzgrundbahn
Radebeul Ost–Radeburg
509
10. Enztalbahn
Pforzheim–Bad Wildbad
710.6
|312| Doch der Mensch, der die Sitzbezüge der Rurtalbahn designt hat, muss Drogen genommen haben. Oder er war ein sehr praktisch denkender Mensch. Eine Explosion sämtlicher Facetten des Farbspektrums vermischt sich mit ekstatischen schwarzen Strichblitzen, sodass jugendliche Graffiti-Hooligans mit Edding in der Hand keine Angriffsfläche für ihre Kunstwerke finden. Und die Betreiber der Rurtalbahn hüten diese Bezüge wie ihre Augäpfel. Als ich vor einigen Jahren ermattet von einer Wanderung meinen Fuß auf einem Sitz abgelegt hatte, musste ich wegen Verunreinigung eine Strafe von 40 DM zahlen. Das war mir eine Lehre. Besser ist es in diesem Fall, die Beine zur Entlastung weit von sich zu strecken, da sich das Ausziehen der Wanderschuhe mit Rücksicht auf die Mitreisenden von selbst verbietet.
Wir wollten in Üdingen, 17 Zugminuten hinter Düren, aussteigen. Da niemand den Halteknopf drückte, fuhr der Zug einfach weiter bis zur nächsten Station. Die Rurtalbahn ist eben eher einer Straßenbahn denn einem ICE vergleichbar. Von Untermaubach nahmen wir dann wieder eine Bahn zurück nach Üdingen, und dort ging es auf den Wanderweg.
Der Hauptwanderweg 4 des Eifelvereins ist einer der großen Nord-Süd-Wege der Eifel. Er beginnt wenige Kilometer nördlich von Üdingen und führt durch die Täler von Rur, Urft und Kyll ins 189 Kilometer entfernte Trier. Es ist aber kein typischer Talweg. Meistens verläuft »die Vier« über die Höhenzüge oberhalb der Flüsse, so auch ab Üdingen im Rurtal. Auf den ersten Kilometern hielt Andreas gut mit. Er |313| war der Ungeübteste, und ich hatte mir vor der Wanderung Sorgen gemacht, ob er das Tagespensum von knapp 20 Kilometern überhaupt schaffen würde. »Du unterschätzt mich«, hatte er geantwortet. Das war aber ein eindeutiger Bluff gewesen. Ich wusste: Er hatte Angst vor der Tour.
Nach einer knappen Stunde erreichten wir den ersten kulturhistorischen Höhepunkt der Wanderung: eine Kapelle. Daneben fand sich eine Tafel, die an Alveradis erinnerte und eine mittelalterliche Sex-and-Crime-Geschichte erzählte: Graf Wilhelm II. von Jülich, der Erbauer der nahen Burg Nideggen, hatte seine Frau mit dem schönen Namen Alveradis in einen eisernen Käfig sperren lassen. Der Käfig sollte an der Außenwand des Burgturms angebracht werden. Aber zuvor befahl der Graf, Alveradis mit Honig zu bestreichen, sodass sie von hunderten Bienen und Wespen gequält wurde. Nachdem sie derart umschwärmt an der Burgmauer hing, fuhr der Wüstling nach Köln, »um seiner Lust zu frönen«. Gott sei Dank wurde Alveradis von Frauen der ländlichen Umgebung gerettet. Alveradis erteilte zum Dank den Frauen die Nutzungsrechte für den Wald, durch den wir wanderten. Graf Wilhelm Zwo ereilte kurz nach seiner Schandtat die gerechte Strafe, und er starb alsbald an einer schlimmen Krankheit.
Zu Beginn hatten wir noch viel geredet. Die Vierer-Wanderungs-Dynamik bringt es mit sich, dass man sich in immer wechselnden
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