Gesammelte Wanderabenteuer
deutsche Wörter und Eigennamen her? Markus und ich haben beide Germanistik studiert. Zu einem solchen Studium gehören auch fundierte Kenntnisse des Mittelhochdeutschen. Und so wussten wir beide, da wir speziell im Erlernen des Mittelhochdeutschen extrem fleißig gewesen waren, dass man »Ley« mit »Felsen« übersetzt. Die Loreley war also der Felsen der Lore, die hier oben durch das Kämmen ihrer langen blonden Haare die Rheinschiffer um den Verstand gebracht hat.
Aber auch unzählige andere deutsche Wörter leiten ihre ursprüngliche Bedeutung vom Wortstamm Ley = Felsen her. Meistens hat sich aber das altertümliche »y« zu einem »i« gewandelt. Hier nur drei Beispiele:
|303| Ferkelei. Mittelhochdeutsch = Ferckeley. Eine Tat oder ein Gedanke, der derart säuisch ist, dass selbst ein Fels erröten muss.
Blei. Mittelhochdeutsch = B-Ley. Das schwere Metall wurde zunächst als minderwertiges Felsgestein angesehen, da es zu schwer war, um beim Haus- und Kirchenbau Verwendung zu finden. Folglich unterschied man zwischen hochwertigem Gestein (A-Ley) und minderwertigem (B-Ley). Als man später entdeckte, dass es sich um ein Metall handelte, blieb der Name trotzdem bestehen.
Leistung. Mittelhochdeutsch = Leystungk. Aus der Annahme, jeder Ritter und Edelmann müsse wie ein Felsen (Ley) in der Brandung stehen (stungk), entwickelte sich dieses Wort.
Der Rhein – nur schön
|304| Wir schafften es gerade noch in die letzte Vorstellung des 3-D-Kinos im kürzlich eröffneten »Besucherzentrum Loreley«. Wir waren die einzigen Zuschauer. In zahllosen Hubschrauberflügen wurde in dem 18-minütigen cineastischen Meisterwerk das Rheintal vorgestellt. Störend war nur, dass die Miss Loreley in dem Film ein Nasenpiercing hatte. Metall an der Nase geht prinzipiell schon nicht, aber im Gesicht einer Dame, die eine mythische Figur darstellt, gehört es verboten.
Hinter der Loreley führt der Rheinsteig erst durch eine Wohnsiedlung mit Schulzentrum und später an Burg Katz vorbei hinunter nach St. Goarshausen. An der Talstraße wies uns ein Schild darauf hin, dass es nur noch 0,3 Kilometer bis zum Ortszentrum wären. Aber der Rheinsteig zwang uns noch einmal in die Höhe zum Dreiburgenblick, also zu einem Umweg von zwei Kilometern.
Am Dreiburgenblick standen schon eine ältere Frau und ihre Tochter, die sich auszukennen schienen. Man konnte von hier aus tatsächlich Burg Katz zur linken Hand sehen (»Die Burg haben die Japaner gekauft. Die sind aber nie da. Nur manchmal veranstalten diese Japaner Seminare, und |305| dann brennt Licht hinter den Fenstern«). Gegenüber, hoch über St. Goar, thronte Burg Rheinfels, und wenn man sich sehr anstrengte, konnte man rechts Burg Maus entdecken (»Gehört einem Feigenzüchter. Der ist meistens zuhause«).
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Markus sieht fassungslos eine gepiercte Loreley.
|305| Burg Katz und Burg Maus heißen so, weil sie sich wie Katz und Maus belagern. Nun ja. Wer jemals gesehen hat, wie nah die Manderscheider Burgen beieinanderliegen, kann über die Burgen am Rhein nur schmunzeln. Immerhin sind aber alle drei Burgen, die man von dieser Aussichtsplattform sehen kann, historische, im Spätmittelalter entstandene Bauten und keine süßlichen romantischen Nachbauten des 19. Jahrhunderts.
Wir wollten in St. Goarshausen übernachten, fanden nur zwei Einzelzimmer in einem Seitental, alle Hotels direkt am Rhein waren komplett ausgebucht. Der Wirt klärte uns über das Touristenwunder am Rhein auf: Hier würden eigentlich alle Hotels vom Bustourismus leben. Schon ein Jahr im Voraus buchten die Busreiseveranstalter große Hotelkontingente in St. Goarshausen. Da wird es für Wanderer, die spontan noch eine Bleibe suchen, wirklich schwer.
Zu später Stunde fiel eine Busgruppe aus Norddeutschland auf ihrer Rückkehr vom Tagesausflug in die Rüdesheimer Drosselgasse in das Hotelrestaurant ein. Es gingen massenhafte Bestellungen für süßen Rotwein ein. Die Enttäuschung war riesengroß, als bekannt wurde, dass es nur süßen Weißwein gebe. Aber der wurde auch getrunken.
Am nächsten Tag wanderten wir den Rheinsteig flussaufwärts weiter bis Kestert. Das sind gerade mal 12,4 Kilometer, und mit 810 Meter Steigung ist diese Etappe nicht so anspruchsvoll wie die Königstour von Kaub nach St. Goarshausen. Diese Strecke ist eigentlich etwas zu kurz |306| geraten, da man schon mittags in Kestert ankommt. Weiter wandern könnte man noch 12,7 Kilometer nach Kamp-Bornhofen oder 14,1 Kilometer nach
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