Gesammelte Wanderabenteuer
Tochter würde sich auch nicht trauen. »Was bekomme ich, wenn ich frage?« – »Nix«, antwortete ich. Überraschenderweise hat Lena die beiden, als sie auf gleicher Höhe waren, doch noch gefragt. Die »Schneeglöckchen« waren Märzenbecher. Die Wandersfrau zeigte uns noch ein Bündel Bärlauch, das sie gepflückt hatte. Wir bedankten uns für die Informationen und hatten endlich etwas zu tun. Den Bärlauch, den wir nun selber sammelten, wollte ich daheim in Köln zu Bärlauch-Pesto verarbeiten. Ich musste aber Abstand von diesem Vorhaben nehmen, als ich sah, wie kümmerlich das Häufchen Bärlauch im Kühlschrank aussah. Ich hätte keine vier Wochen verstreichen lassen sollen.
Meine Tochter, der Wander-Eminem: 8 Mile durch den Hainich
Hinter dem Craulaer Kreuz (leider, wie die meisten »Denkmäler« im Hainich, nur eine Nachbildung) endete der schöne Weg. Über eine nasse, sumpfige Wiese ging es bergab Richtung Baumkronenpfad. Den Kilometerangaben darf man an dieser Stelle im Übrigen nicht |325| vertrauen. Am Craulaer Kreuz waren es noch sechs Kilometer bis zum Baumkronenpfad gewesen, 50 Meter weiter waren es nur noch fünf. Super, wir schritten mit Siebenmeilenstiefeln voran. Auf der ungeschützten Wiese pfiff der Wind durch unsere Klamotten, und Lena sah mit Mütze und darübergezogener Kapuze aus wie ein Wander-Eminem (wenn Eminem wandern würde, was der aber bestimmt nicht in seinem Rapper-Repertoire hat). Wir erreichten das letzte Waldstück unserer Wanderung, den Langensalzaer Stadtwald. Wir stapften durch den Schlamm, bis wir den Naturpfad Thiemsburg erreichten. Der klebrige Lehm ließ nach wenigen Schritten die Beine schwer werden. Wie bei den mittlerweile aus der Mode gekommenen Buffalo-Schuhen hatten wir zehn Zentimeter dicke Lehmsohlen unter den Füssen. Diese Lehmklumpen fielen auch nicht ab, als wir weitergingen. Wir mussten uns gegenseitig, wie wir das von Pferdehufen gewohnt sind, die Schuhsohlen mit Steinen auskratzen.
Hainich-Highlight: Bärlauchsammeln
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Auf diesen Stelzen ruht der Baumkronenpfad.
|327| Lenas Enttäuschung über den Baumkronenpfad begann schon, als wir ihn das erste Mal erblickten. Ein massiver Turm aus Beton mit einer roten Aussichtsplattform ragte in den Himmel. In zehn Meter Höhe führte auf dicken Stelzen ein 300 Meter langer Rundweg durch die Baumkronen. Lena hatte keinen Weg, gesichert wie eine Magnetschwebebahn, sondern eine wacklige Holzbrücke erwartet. Mir war es ganz lieb, so wie es war.
Dass es überhaupt so etwas wie Baumkronenforschung gibt, hatte ich in der ZEIT gelesen. Diese Wissenschaft ist ziemlich jung und versucht, in luftiger Höhe zu erkunden, was vom Boden aus nicht zu erkennen ist: den Kampf um Licht und Sonne. Es geht nämlich ziemlich ruppig dort oben unter den Baumkronen zu, bei windigem Wetter schlagen die Äste der verfeindeten Bäume aufeinander ein, und der Stärkere gewinnt. Und wenn so eine Buche (diese Baumart herrscht im Hainich vor, und eine Buche erkenne sogar ich, da eine direkt vor unserem Esszimmerfenster steht, also eigentlich viel zu nahe am Haus, aber das ist ein anderes Thema), wenn so eine Buche also zu klein gerät, stirbt sie ab, da sie kein Sonnenlicht mehr abbekommt.
Lena und ich stiegen die Wendeltreppe an der Außenseite des Betonturms hinauf. In zehn Meter Höhe begann der Rundweg. Vom Turm wegführend stieg er leicht an. Wir gingen durch die Baumwipfel hindurch, und es war schon interessant zu sehen, welche Bewegung hier herrschte. Kein Ast und kein Zweig stand still, sondern alles wiegte sich im Wind. Wenn im Sommer dann noch Blätter an den Bäumen sind, ist es wahrscheinlich noch spektakulärer. An der höchsten Stelle (24 Meter hoch) des Baumkronenpfades hätte sich Lena am liebsten nach unten gestürzt. Vorausgesetzt, unter uns wäre Wasser gewesen. Ich dagegen musste Schwindelanfälle unterdrücken und klammerte mich am Geländer fest, |328| kaum dass ich einen Blick nach unten riskierte. Aber man sollte ja in die Baumkronen schauen.
Nach drei Minuten auf dem Rundweg hatten wir den mächtigen Betonturm wieder erreicht. Am Ausgang wird man durch ein Andenkengeschäft geschleust. Dort sah ich einen Prospekt über den Hainich mit dem Titel »Urlaub rund um den Urwald«. Man kann sich wirklich jedes Wandergebiet in Deutschland schönreden, aber nach den vielen Kilometern auf elend langweiligen Wegen fragten wir uns schon, ob wir den »Urwald« übersehen hatten. Mit Urwald war tatsächlich der kleine
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