Gesammelte Werke 1
schon bei dreißig Stundenkilometern stotterte das Triebwerk, und das Schmieröl brannte. Doch der atomare Schlitten war noch immer außerordentlich geländegängig.
Ob Weg oder querfeldein - dem Panzer war es gleich, Sträucher und Rillen bemerkte er überhaupt nicht, umgestürzte Bäume quetschte er zu Krümeln und junge, durch die Betonritzen wachsende Bäumchen überrollte er mit Leichtigkeit. Ebenso wälzte er sich durch tiefe, mit schwarzem Wasser gefüllte Gruben und ließ gewaltige Fontänen hochspritzen. Auch die Richtung hielt er wunderbar. Es war allerdings schwer, sie zu ändern.
In der Kabine war es schmutzig und stickig, und die Chaussee verlief ziemlich gerade, so dass Maxim schließlich das Gas auf Handbetrieb feststellte, hinauskletterte und sich an den Lukenrand unter dem Tragrost der Rakete setzte. Der Panzer drängte vorwärts, als sei dies sein ureigener, von einem alten Programm vorgegebener Kurs. Er hatte etwas Schlichtes, Genügsames an sich, und Maxim, der Fahrzeuge mochte, klopfte ihm anerkennend auf die Panzerung.
So ließ es sich leben. Rechts und links glitt der Wald vorüber, das Triebwerk brummte gleichmäßig, die Strahlung spürte man hier oben kaum, und die recht saubere Luft kühlte angenehm die erhitzte Haut. Maxim sah zu der schwankenden Rakete hoch. Er sollte sie wirklich abwerfen. Es war unnötiger Ballast. Gefährlich war sie zwar nicht, sie würde nicht mehr explodieren, das hatte er in der Nacht überprüft. Aber sie wog sicher an die zehn Tonnen - warum also sollte er sie mitschleppen? Während sich der Panzer weiterwälzte, ging Maxim auf der Tragfläche herum und suchte den Befestigungsmechanismus. Als er ihn fand, stellte er fest, dass er völlig verrostet war, und hatte große Mühe, ihn in Gang zu bringen. Unterdessen rollte der Panzer an zwei Kurven in den Wald hinein und riss, wütend aufheulend, die Bäume nieder, so dass Maxim an die Hebel rannte, um den Koloss wieder auf Kurs zu bringen. Zu guter Letzt funktionierte der Mechanismus. Die Rakete senkte sich, krachte auf den Beton und rollte schwerfällig in den Straßengraben. Der Panzer machte einen
Satz und fuhr nun sehr viel leichter. Und in dem Moment sah Maxim den ersten Sicherungsposten.
Am Waldrand standen zwei große Zelte und ein Kastenwagen, eine Gulaschkanone dampfte. Zwei Gardisten mit freiem Oberkörper wuschen sich; sie begossen einander mit Wasser aus der Feldflasche. Mitten auf der Fahrbahn stand eine Wache in schwarzem Umhang und blickte Maxim entgegen. Rechts neben der Chaussee standen zwei Pfähle, die durch einen Querbalken verbunden waren, und von diesem Querbalken hing etwas herab, etwas Weißes, Langes, das fast die Erde berührte. Maxim glitt in die Kabine hinunter, damit man nicht seinen karierten Kittel sehen konnte, und schob nur den Kopf aus der Luke. Der Posten musterte den Panzer verdutzt und ging zur Seite, sah sich dann hilflos nach dem Kastenwagen um. Die beiden Halbnackten hörten auf sich zu waschen und starrten ebenfalls herüber. Der Lärm der Raupenketten lockte noch mehr Männer aus den Zelten und dem Wagen; einer von ihnen trug eine Uniform mit Offiziersschnüren. Sie alle schienen sehr erstaunt, wenn auch nicht beunruhigt. Der Offizier deutete auf den Panzer, sagte etwas, und alle lachten. Als Maxim auf gleicher Höhe wie der Posten war, schrie der ihm etwas zu, unhörbar, weil das Triebwerk so dröhnte, und Maxim rief zur Antwort: »Alles in Ordnung, bleib, wo du bist!« Der Posten verstand auch nichts, schien aber zufrieden. Nachdem er den Panzer vorbeigelassen hatte, stellte er sich wieder mitten auf dem Weg in Positur.
Es war gut gelaufen.
Maxim wandte den Kopf und sah jetzt ganz aus der Nähe, was von dem Querbalken herabhing. Eine Sekunde starrte er es an, dann setzte er sich, kniff die Augen zusammen und griff, ohne jede Notwendigkeit, nach den Hebeln. Ich hätte nicht hinschauen sollen, dachte er. Der Teufel hat mich geritten, dass ich mich umdrehen musste. So wäre ich gefahren und gefahren und hätte nichts davon gewusst. Er zwang sich,
die Augen zu öffnen. Nein, überlegte er dann, ich muss hinsehen, muss mich daran gewöhnen, es kennenlernen. Sich abzuwenden ist sinnlos; ich habe überhaupt nicht das Recht mich abzuwenden, da ich mir diese Sache nun einmal vorgenommen habe. Bestimmt war es ein Mutant. Der Tod kann Menschen nicht dermaßen verunstalten. Das Leben verunstaltet sie. Es wird auch mich verderben. Man kann dem nicht entgehen, Widerstand hat keinen
Weitere Kostenlose Bücher